Liquid Ecstasy fürs Bildungsbürgertum

Mit queerem Pathos und sehr viel Mythen-Bombast erzählt Kolja Malik in „LasVegas“ humorfrei und dramaturgisch planlos eine konfuse Story

Schöne Bilder, nichts dahinter: In „LasVegas“ treten auch Menschen in Engelskostümen auf Foto: Farbfilm-Verleih/Malik

Von Wilfried Hippen

Ein Vogel stößt panisch flatternd an eine Fensterscheibe, die ihn gefangen hält. Dieses reichlich plakative Sinnbild hat Kolja Malik einige Male in seinen Spielfilm „LasVegas“ einmontiert, um so deutlich zu machen, wie sein Protagonist Tristan sich fühlt. Dieser ist ein junger Modedesigner, dessen Existenz durch seinen autoritären Vater sowie seinen ehrgeizigen Manager und Ex-Freund so eingeengt wird, dass er so wirkt, als wäre er selbst in seinem Leben nie wirklich anwesend.

Doch dann steigt bei einer Feier plötzlich Sunny durch ein offenes Fenster und Tristan verfällt auf den ersten Blick diesem rebellischen jungen Mann mit blonder Mähne, der als erstes eine Sektflasche klaut und dann seinerseits Tristan anhimmelt.

Von ihrer Amour fou erzählt dieser Film, doch dabei verkörpern Tristan und Sunny eher Extreme, als dass sie als Filmfiguren auf der Leinwand lebendig werden. Introvertiert gegen Extrovertiert, Neurotiker gegen Psychotiker, passiv gegen manisch, Bürgertum gegen Anarchie, Realität gegen Traum – dieses Konzept spielt Malik so gründlich durch, dass seine Protagonisten nie die Chance haben, im Laufe der Geschichte überzeugend ein Eigenleben zu entwickeln.

Glaubwürdig, spannend oder gar berührend wird das Liebesdrama nie, und den beiden Darstellern Tim-Fabian Hoffmann (Tristan) und Daniel Roth (Sunny) nimmt man die großen Gefühle, die sie angeblich bewegen, auch nicht wirklich ab. Hoffmann wirkt meist apathisch und scheint vor allem wie ein schlecht gelaunter Schlafwandler durch das Melodram zu laufen und Roth spielt so, als sei er immer kurz davor zu explodieren.

Nuancen sucht man bei ihnen vergebens. Auf einem anderen Niveau spielen dagegen Thomas Thieme als der despotische Vater (er wird mit einer Injektionsspritze für Pferde in der Hand eingeführt) und Nastassja Kinski als Tristans gebrochene Mutter. Die Familienszenen mit ihnen sollen zeigen, warum Tristan so gehemmt und unglücklich ist, aber sie irritieren eher, weil sie so inszeniert sind, als kämen sie aus einem ganz anderen Film.

Es hilft es auch nicht, dass Kolja Malik stilistisch mit vielen Verfremdungseffekten arbeitet. So werden in die Filmhandlung immer wieder Bilder von Fahrten durch Las Vegas und amerikanische Landschaften einmontiert, denn die USA stehen hier für den utopischen Freiheitsort, zu dem die beiden Liebenden gemeinsam fliehen wollen. Filmfiguren wechseln plötzlich ihre Identität.

So wird etwa aus Sunny durch einen Filmschnitt Tristans Schwester Brunhilde. Außerdem sind einige Drehorte so irreal, dass Sequenzen wie Traumvisionen wirken.

In einer Szene schreit Sunny „Stella, Stella!“, wie Marlon Brando in der Hollywood-Verfilmung von „Endstation Sehnsucht“

Einige Szenen wie beispielsweise eine Taxifahrt zum Flughafen spielen dramaturgisch völlig unmotiviert in einer Hafenanlage: Da „LasVegas“ von der Nordmedia gefördert wurde, war es opportun, einige Teile des Films in Hannover, Hildesheim und Cuxhaven zu drehen.

Das Potenzial solcher Sequenzen erkennt Malik offenbar nicht: Denn tatsächlich drängt sich durch sie eine Zeitlang der Eindruck auf, alles würde nur im Kopf von Tristan geschehen. Aber dann müsste auch konsequent aus seiner Perspektive heraus erzählt werden. Doch stattdessen switcht sie zu Sunny, dessen Geschichte zu einer melodramatischen Räuberpistole wird. Der rebellische Freigeist entpuppt sich nämlich als ein Beischlafdieb, der seine Opfer mit Drogen betäubt und so eine Mordserie in Gang setzt.

Mitunter stehen in „LasVegas“ die Dar­stel­le­r*in­nen im Regen, immer aber das Publikum Foto: Farbfilm/Malik

Da Tristan und Sunny auch selbst Liquid Ecstasy schlucken, entwickelt sich der Film sowohl inhaltlich wie auch stilistisch immer mehr zu einem Drogentrip. Da sieht man dann Bilder in den umgekehrten Farben eines Filmnegativs und flackernde Strobe-Effekte. Aber diese Stilmittel haben etwa Terry Gilliam oder Darren Aronofsky in ihren psychedelischen Filmen schon viel einfallsreicher und stimmiger eingesetzt. Malik macht dagegen Anleihen bei Hochkultur und klassischer Mythologie, die wie ein Namedropping für das Bildungsbürgertum wirken.

So schreit Sunny etwa in einer Szene „Stella, Stella!“ wie Marlon Brando in der Hollywood-Verfilmung von „Endstation Sehnsucht“ und später blickt er einmal zurück und besiegelt so sein Schicksal wie Eurydike in der griechischen Sage von Orpheus in Unterwelt.

Auch die Namen Tristan und Brunhild versprechen ja großes Welttheater und Tristan wird schließlich sogar, bleibt man bei der mythologischen Lesart, zum Ödipus. Das ist dann fast schon eine Pointe, aber solch ein Witz wirkt in „LasVegas“ wie ein Stilbruch, denn der Film ist auch deshalb so unbekömmlich, weil Kolja Malik ihn mit viel queerem Pathos und ohne jeden Sinn für Humor inszeniert hat.