was wir noch zu sagen hätten #1
: Für mehr Menschlichkeit

Als postsowjetische Jüdin in Deutschland hatte meine Mutter mir beigebracht: „Schweig darüber, dass du Jüdin bist. Wenn du den Davidstern um deinen Hals trägst, dann unter deinem Hemd. Hebe ihn lieber hier im Nachttisch auf.“ Früh verstand ich, warum.

Aus einer Art Selbstschutz heraus habe ich kaum über diese Erfahrungen gesprochen. Die angestaute Wut darüber ist mit der Zeit zu Gleichgültigkeit geworden. Diese löst sich gerade und ich weiß nicht, was ich dazu schrei­ben soll. Was ich weiß, ist, dass viele Jüdinnen und Juden Angst haben, an die Uni zu gehen. Es ist frustrierend zu sehen, wie Teile der Bevölkerung sich für aufgeweckt halten und nicht verstehen, dass Antisemitismus Teil des Systems ist. Ein Aufwachen hat nie stattgefunden. Noch immer verlieren sich nicht Betroffene in unsensiblen und inhaltlich falschen Parolen im Glauben, sich zu solidarisieren. Doch es ist nicht eure Identität, die missbraucht wird, und nicht eure Entscheidung, wer Täter und wer Opfer ist. Wahre Solidarität beginnt damit, menschlich zu sein und nicht gewaltsam um sich zu schreien. Deshalb ist es wichtig, dass jüdische und muslimische Gemeinschaften zusammenhalten. Während wir das multi­pers­pek­tivische Denken verlernen, stehen die Türen für die Rechten offen. Sollten sie eintreten, bin ich froh, den Davidstern unter der Aufsicht meiner Mutter gelassen zu haben.

Wir leben nicht in Palästina oder Israel. Wir leben in Deutschland. Der grausame Krieg muss sich keineswegs parallel in einem Debattenkrieg äußern. Noch haben wir die nötigen Mittel und die nötige Ruhe, um an Lösungen zu arbeiten. Menschen in Kriegsgebieten haben das nicht. Machen wir was daraus.

Paola Kaszubowski

Foto: Foto:  privat

Paola Kaszubowski, Jahrgang 2002, ist in einem jüdisch-ukrai­nischen und polnischen Haushalt in Bremen aufgewachsen. Sie ist taz lab Redakteurin und studiert Journalistik in Köln.

An dieser Stelle schreiben unsere Au­to­r*in­nen wöchentlich über den Osten. Oder was?