verplant
: Der „alternative Reiseplan“ zeigt uns die Welt

Bei der Deutschen Bahn, sollte man denken, geht es um Effizienz. Schnell von einem Ort zum anderen zu kommen, auf den großen ICE-Strecken mit Reservierung, dazu macht die Bahn ganze Innenstädte platt und nennt das „Deutschlandtakt“.

Will man online eine Fahrkarte buchen, ist die Option „schnellste Verbindungen anzeigen“ sogar schon voreingestellt. Will man zum Beispiel von Hamburg-Altona nach Innsbruck fahren, könnte man um 10.17 Uhr einen ICE nach München nehmen und von dort nach einer halben Stunde Pause um 17.34 Uhr weiterfahren mit einem Eurocity nach Innsbruck, wo man dann um 19.18 Uhr zur schönsten Essenszeit ankommen würde.

Das ist noch nicht mal die schnellste Verbindung, aber sie ist schnell Wochen voraus reserviert – bis nach einiger Zeit eine Nachricht von der „DB Reisebegleitung“ kommt, der Fahrplan habe sich geändert. Der „alternative Reiseplan“ sieht eine Abfahrt bereits um 0.13 Uhr vor, zuerst mit der S-Bahn, vom Hauptbahnhof dann mit dem Bummelzug nach Hannover, wobei der Zug an vielen Orten Halt macht, wo der ICE sonst nur durchrasen würde: Großburgwedel zum Beispiel, wo das Walmdachhaus des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff und seiner Gattin Bettina steht, die später in einmal als Bundespräsidentenpaar von sich reden machten.

Nicht einmal eine Minute Aufenthalt hat die Regionalbahn in Großburgwedel, Aussteigen wird also schwierig, aber es wäre ja sowieso erst 2.34 Uhr und damit dunkle Nacht. In Hannover wäre dann ein längerer Aufenthalt geplant, 2 Stunden und 44 Minuten, da könnte man sich das Nachtleben im Steintorviertel anschauen, Hannovers „Partymeile“, wo einmal der Hells-Angels-Boss Frank Hanebuth regierte. Was macht der jetzt eigentlich?

Von Hannover geht es um 5.36 Uhr weiter nach Göttingen, immerhin mit dem Regionalexpress, Ankunft 6.50 Uhr, und dann wird es wirklich abenteuerlich: Mit dem Bus nach Mühlhausen in Thüringen, das ist zufällig die Stadt, wo der junge Johann Sebastian Bach Organist an der Divi-Blasii-Kirche war, bevor er an den Hof nach Weimar ging.

In Mühlhausen startet ein Regionalexpress nach Gera, der nicht nur in Weimar (Goethe und Schiller!), sondern auch in Jena (Schelling! Hegel!) hält. Bei der folgenden Regionalbahn von Gera nach Hof in Bayern gibt es eine Warnung vor „hoher Auslastung“: „Reisende von Leipzig nach Hof können alternativ auch die Verbindung über Zwickau mit den Linien S 5X und RE 3 nutzen“.

Ein Algorithmus mit poetischen Qualitäten

In Hof könnte man sich den ehemaligen Grenzübergang zwischen Ost und West ansehen, wenn dafür Zeit wäre, und von da geht es dann gemütlich mit dem nächsten Zug nach München. In der bayerischen Landeshauptstadt hätte man sogar noch eine gute Stunde Aufenthalt. Das reicht nicht ganz fürs Hofbräuhaus oder den Englischen Garten, aber für eine Stippvisite auf dem Viktualienmarkt? Saures Lüngerl mit Serviettenknödel oder Schweinshaxn, andererseits wartet ja auch noch die österreichische Küche in Innsbruck.

Von außen betrachtet mag die Deutsche Bahn ein Konzern sein, der Milliardengewinne schreibt und über Leichen geht. Doch in den Tiefen seines Fahrplan-Algorithmus kommt ein ganz anderes, poetisches Wesen zum Vorschein, das sich über verschlungene Nebenstrecken einem Ziel nähert und kein kulturelles Kleinod auslässt, weit weg von jedem Effizienzdenken.

Okay, vielleicht war zwischen Hamburg-Altona und München, nachdem der ursprüngliche Zug sehr spät und ersatzlos gestrichen worden war, einfach nichts mehr frei, was reservierbar war, sodass dann eben Busse und Regionalbahnen herhalten mussten.

Aber wir glauben lieber an das Gute. Danke, Deutsche Bahn! Daniel Wiese