Speisen und schwatzen

Wer seine Küche neu einrichten möchte, sollte sich Zeit lassen. Dann wird über das Kochen hinaus auch das Einrichten eine Lust. Der Designer Otl Aicher schlägt vor, die beiden Arbeitsbereiche Spülchemie und Essbares gegenüberliegend anzuordnen

VON MICHAEL KASISKE

Die Einrichtung meiner Küche liegt seit geraumer Zeit brach. Unter dem Spülbecken verhindern zwei aufeinander gestellte Eimer, dass das Abflussrohr runterrutscht, wenn die Waschmaschine abpumpt. Gelegentlich koche oder backe ich ausschweifend, doch trotzdem habe ich Gerätschaften und Schränke erst provisorisch installiert. Mit dem Argument, dass mein Budget nicht ausreiche, verschob ich jede Planung. Bis die Recherche zu diesem Beitrag Anlass gab, sich des Themas Küche auch in den eigenen vier Wänden anzunehmen.

Im ersten Anlauf besuchte ich ein Ikea-Einrichtungshaus. Ein Architekt, der sich nach eigenen Entwürfen eine Küchenzeile hatte bauen lassen, riet mir nämlich ab, es ihm gleichzutun. „Kauf dir ein paar Küchenschränke bei Ikea und lass andere Türen und Fronten einsetzen“, meinte er, „dann hat man stabile Schränke und Farbe und Beschläge entsprechen exakt den eigenen Wünschen.“ Dass diese Lösung auch preiswerter ist, als einen Tischler mit der kompletten Anfertigung zu beauftragen, ist ein weiterer Vorteil.

Nüchternheit am Ort der Speisenzubereitung

Bei Ikea ging ich direkt in die Küchenabteilung. Zunächst fiel mir die Serie Udden ins Auge. Die Gestelle aus lackiertem Stahl mit Arbeitsoberflächen in Edelstahl und Einbauteilen aus wahlweise dunkelrot oder weiß lackiertem Holz strahlen eine Nüchternheit aus, die die Küche als Ort der Speisenzubereitung unterstreicht. Für das Modell sprach, dass unter dem Spültisch eine Spülmaschine Platz finden kann, dagegen allerdings die Starrheit der Elemente – etwas anderes als eben dieser Spültisch würde neben Kühlschrank und Herd kaum Platz bei mir finden.

Die nächsten 70 Prozent der Ausstellung bestand aus dem Programm Faktum. Erstaunlich, wie sich das Erscheinungsbild einer Küche je nach Oberfläche ändern kann, etwa gestylt in hoch glänzendem Rot, anheimelnd in Eiche oder unterkühlt in Birke. Die Vielzahl unterschiedlich hoher und unterteilter Module, aus denen sich die Einrichtung komplex zusammensetzt, nötigt freilich zu gründlicher Planung. Erst recht bei einem Grundriss wie dem meiner Küche: Eine schräge Ecke, ein Mauervorsprung und diverse über die Wand verlegte Heizrohre machen die Einrichtung meiner Küche zu einer logistischen Herausforderung. Vielleicht hätte ich tatsächlich angefangen, auf dem von Ikea bereitgestellten Millimeterpapier die „Traumküche“ zusammenzustellen. Doch ich wurde in diesem Tatendrang aufgehalten durch ein Buch, dessen Ausgangspunkt die Frage ist: „Wie sieht eine Küche aus, in der mit Lust gekocht werden kann?“ Der Designer Otl Aicher, bekannt durch das Erscheinungsbild der Olympiade in München, hat sich diesem komplexen Thema 1982 nicht allein theoretisch, sondern vor allem praktisch in seiner eigenen Küche gewidmet.

Mein zweiter Anlauf bestand aus Lesen und Verstehen seiner idealen Küche. Hier gibt es einen zentralen Arbeitstisch für die Zubereitung. Durch ein Loch in der Mitte können alle organischen Abfälle direkt in den darunter stehenden Abfalleimer entsorgt werden, was das Verschmutzen des Fußbodens beim Transport der oft noch nassen Gemüsereste unterbindet. Jeweils an einer Seite, einander gegenüberliegend, ordnete Aicher die so genannte „Nassküche“ (mit Spüle und Depot für das Geschirr) und die „Heißküche“ (mit Lebensmittelmagazin, Bratröhre und Kühlschrank) an und trennte damit Spülchemie und Essbares so weit wie möglich voneinander. Dazwischen, an einer dritten Seite, befindet sich der Herd, der somit von beiden Seiten versorgt werden kann. Für die verbleibende vierte Seite schlägt Aicher eine Anrichte vor. Der Designer hat die Arbeitsabläufe vor dem Hintergrund eines lustvollen, kommunikativen Kochens analysiert und nicht – wie zu Beginn der modernen Architektur – mit dem Ziel der Flächenminimierung. Wie lässt sich allerdings seine Anordnung, die einen ausreichend breiten Raum erfordert, auf meine Küche übertragen, die leider nur 2,45 Meter breit ist? Da hilft auch das Ikea-Programm nicht weiter. Denn das Zwängen beginnt schon an der Eingangstür, wo nur eine Tiefe von gut 40 Zentimetern für einen Schrank vorhanden sind, von denen noch fünf offen liegende Heizungsrohre abgezogen werden müssen.

Die richtig disponierte Küche muss reifen

Vielmehr werde ich jetzt, nunmehr im dritten Anlauf, versuchen müssen, die Organisation meiner Küche in ihrer Gesamtheit mit allen Arbeitsabläufen nachvollziehen. Das kann dauern. Nolens volens hat mich Freundin Kerstin beruhigt: Sie gestand, ihre wunderbar praktische Küche erst sechs Jahre nach dem Einzug eingerichtet zu haben. Die richtig disponierte Küche muss offensichtlich reifen, um Missstände wie die Eimerkonstruktion und Einschränkungen wie das Budget auf einen Schlag zu lösen. Dann wird über das Kochen hinaus auch das Einrichten eine Lust.

Demnächst als Neuauflage im Buchhandel: Otl Aicher: „Die Küche zum Kochen. Werkstatt einer neuen Lebenskultur“. Ökobuch Verlag & Versand, 19,90 €, www.oekobuch.de. Eine anschauliche Einführung in die Geschichte der Kücheneinrichtungen liefert der Ausstellungskatalog „Küchenträume – Deutsche Küchen seit 1900“ (56 S., 7,50 €); der zahlreich bebilderte Katalog kann über das Lippische Landesmuseum Detmold bezogen werden, www.lippisches-landesmuseum.de