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: „In Deutschland nehme ich Urlaub, um zu feiern“

Wenn sichtbares jüdisches Leben einen Schock bedeutet: Dana Vowinckel und ihr deutsch-israelischer Coming-of-age-Roman

Interview Luna Harms

taz: Dana Vowinckel, wovon handelt „Gewässer im Ziplock“?

Dana Vowinckel: Von einer jüdischen Familie, die das Leben auseinander- und wieder zusammentreibt. Der Roman ist aus zwei Perspektiven erzählt: Avi ist Kantor in seiner jüdischen Gemeinde in Berlin und Israeli. Vor 15 Jahren kam er nach Deutschland und lebt seitdem in Berlin mit seiner 15-jährigen Tochter Margarita. Sie reist am Anfang des Buches vom Urlaub bei ihren Großeltern in Chicago zur Mutter nach Israel, wo beide sich nach Jahren ohne Kontakt neu kennenlernen. Vielleicht ist eine zentrale Frage des Romans, warum diese Mutter, Marsha, die Familie vor 13 Jahren verlassen hat.

Beschreiben Sie den modernen jüdischen Menschen?

In diesem Fall eher das Leben einer modernen Berlinerin. Beim Schreiben ging es viel um das schnelle Erwachsenwerden in Berlin und um „erwachsene“ Erfahrungen wie Alkohol, Sex und Alleinreisen. Was bedeutet auch die jüdische Identität, wobei die für Margarita eher zweitrangig ist: Ihr eigener Körper steht eher im Mittelpunkt, für sie ist das Jüdischsein eher etwas Beiläufiges – bis zu dem Punkt, an dem es ihr weggenommen werden soll.

Gibt es Parallelen zwischen der Hauptfigur Margarita und Ihnen selbst?

Foto: Heike Steinweg

Dana Vowinckel

*1996 hat Linguistik und Literaturwissenschaft in Berlin, Toulouse und Cambridge studiert. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2021 erhielt sie für einen Auszug aus „Gewässer im Ziplock“ den Deutschlandfunk-Preis.

Man denkt das vermutlich schnell, wir sind beides jüdische Frauen, aber das war’s eigentlich auch an Gemeinsamkeiten. Ich war auf einer nicht-jüdischen Schule in Berlin, Margarita ist auf der jüdischen Oberschule, meine Eltern haben ganz andere Hintergründe, ich bin um einiges älter als Margarita.

Prägend in dem Buch ist die erstmalige Reise nach Israel. Wie war es für Sie selbst, als sie das erste Mal dort waren?

Ich war das erste Mal mit meiner Mutter in Israel. Das war schon auch ein Schock, Religiosität und Feste, die in Deutschland hinter verschlossenen Türen stattfinden, draußen auf der Straße zu erleben. Israel ist auch ein sehr komplizierter Ort, ich möchte es nicht darstellen, als wäre es „da“ einfacher. Aber es ist auch der einzige Ort auf der Welt mit gesetzlichen jüdischen Feiertagen – in Deutschland nehme ich Urlaub, um Jom Kippur feiern zu können.

Hat der 7. Oktober etwas verändert?

Lesung: Mi, 6. 3., 19 Uhr, Wolfenbüttel, Lessinghaus/Gartensaal

Kurzfristig abgesagt wurden die Termine heute in Lüneburg und morgen in Stadthagen.

Dana Vowinckel: „Gewässer im Ziplock“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 362 Seiten, 23 Euro; E-Book 19,99 Euro

Es gibt eigentlich kaum einen Aspekt, der sich nicht verändert hat. Ein allgemeines Sicherheitsgefühl ist verloren gegangen. Auch wenn dieses Gefühl nie groß war –wie auch in Deutschland nach der Schoah und den vielen Fällen rechtsextremer Gewalt? Es gibt in jedem gesellschaftlichen Milieu Antisemitismus, von rechtsextrem bis linksextrem, von religiös bis unreligiös – die Liste der Gruppen, die sich auf Antisemitismus einigen können, ist lang. Dafür ist keine Bevölkerungsgruppe konkret verantwortlich, sondern eben alle, die sich als Teil der Gesellschaft sehen.

Auch Ihre sozusagen eigene Gruppe?

Was ich beobachten kann, weil ich ein Teil des Kulturbetriebs bin, ist, dass eine Form anti-intellektueller Realitätsverweigerung in den Künsten im Moment hoch im Kurs ist in Deutschland, auch in den feministischen Künsten, die die sexualisierte Gewalt gegen Frauen beim Angriff der Hamas auf Israel leugnen. Man kann und sollte das Vorgehen der israelischen Regierung kritisieren, aber mit dieser Kritik schwächt man auch die eigenen Argumente, wenn es wieder nur um diese eine rechte Regierung geht. Gleichzeitig einigt sich die Mehrheitsgesellschaft auf die immer gleiche rassistische Strategie: mit dem Finger von sich weg zeigen und unter dem Deckmantel falscher Solidarität Minderheiten gegeneinander ausspielen.