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Papst plädiert für Verhandlungen

„Der Papst tappt im Dunkeln. Die vornehmste Aufgabe des Vatikans ist es, für den Frieden auf der Welt zu beten. Nun fordert Franziskus die Ukraine zu einer Annäherung an Russland auf“, taz vom 11. 3. 24

Anstatt gleich abzutun, was der Papst vorschlägt, täte es gut, kurz innezuhalten und sich darüber Gedanken zu machen, was der Aufruf zu Verhandlungen bezwecken könnte. Der Krieg tobt schon seit zwei Jahren, kostet unzählige Menschenleben, die man leichtfertig als heldenhafte Opfer für den Sieg bezeichnet, auf beiden Seiten. Allzu leichtfertig reden auch westliche Politiker davon, dass diese Opfer hinzunehmen seien, um die Freiheit zu verteidigen. Wissen sie wirklich wovon sie sprechen? Auch wenn in diesem Krieg die russische Armee eindeutig als Aggressor feststeht – muss nicht alles versucht werden, Wege zu finden, diesen Krieg zu beenden? Irgendwann müssen die Kriegsparteien Verhandlungen aufnehmen. Warum nicht jetzt? Wenn in der christlichen Tradition von der Feindesliebe die Rede ist, dann steht dahinter die feste Überzeugung, dass jeder Mensch auf dieser Erde zur Menschheitsfamilie gehört und ein Problem nicht dadurch gelöst wird, wenn der sogenannte Feind beseitigt wird und man ihm das Menschsein abspricht. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn der Papst jetzt zu Verhandlungen aufruft, um nichts unversucht zu lassen, diese Spirale der Gewalt zu beenden, um im anderen wieder den Menschen zu sehen.

Michael Raabe, München

Der Papst hat nichts anderes getan, als die Christen zu ermutigen, die Bergpredigt ernstzunehmen. Aber zahlreiche Politiker und der Chor der Medien fallen über den Papst her, als hätte er ein schreckliches Verbrechen begangen. Das besteht für viele darin, dass er sich nicht am Geschrei nach immer mehr und immer weiter reichenden Waffen beteiligt. Waffen sind eben Tötungsgeräte, die von den Kriegsparteien mit dem Ziel eingesetzt werden, möglichst viele Menschen („Feinde“) zu töten. Im zivilen Leben wird jemand, der einen anderen Menschen tötet, als Mörder verhaftet, vor Gericht gestellt und bestraft. Im Krieg – auch im Verteidigungskrieg – ist plötzlich alles anders. Nun wird belohnt und hoch geehrt, wer möglichst viele Menschen auf der Gegenseite vernichtet. Begriffe wie „soziale Verteidigung“ oder auch nur angedeutete pazifistische Gedanken werden in Talkshows verächtlich gemacht oder als weltfremd belächelt, sodass sich kaum jemand noch traut, dem bellizistischen Geschrei etwas entgegenzusetzen.

Winfrid Eisenberg, Herford

Danke, René Pollesch – für alles!

An diesem Tag komme ich mit drei Freundinnen aus dem Kino. Wir reden über faschistische Sprechweisen, wie die Menschen in der Zeit, die wir am Theater gearbeitet haben, oft im gleichen Ton von „indirekter Zwangsläufigkeit“ gesprochen haben, wie viele nur noch auf ihrer Schiene fahren, festgeklemmt in ihrer Rolle. In meinen Gedanken: René Pollesch. An seine Stücke denke ich oft, wenn ich einen Ausnahmebereich suche von dem, was nicht zu ertragen ist. Wir steigen in die U-Bahn. Erst vor Kurzem noch hatte ich ihm in der Bahn gegenübergesessen, ihn mit Freude hinter seiner Maske erkannt. Wir sind in die gleiche Richtung gefahren nach seinem Stück „Ja nichts ist ok“. Er twitterte eine Stunde später: „In jede Wunde eine Tablette.“ Er hat es in vielen Stücken gesagt: Vieles ist einfach unerträglich geworden, nichts ist mehr okay. Kurz nachdem ich mich von einer der Freundinnen verabschiedet habe, kommt sie wieder den U-Bahn-Aufgang hochgerannt: „René Pollesch ist tot!“ Seltsam destabilisierend fühlt sich das an. Ich trauere um einen fremden Menschen wie noch nie. Mein Leben ist mit einem Mal unwiederbringlich ärmer. Das Theater von René Pollesch: Tief empfundene Anteilnahme, Identifikation, Tröstung, die furchtbare Katastrophe des Kapitalismus, das Verstörende in allem Aktuellen, traumschön mit Vergangenheit kontrastiert. Die wildesten, künstlichsten, von Ideen getriebenen und elegant veranschaulichenden Wortwechsel und Figuren. Vielen geht es wie mir – so ein Gemeinsamkeitsgefühl war es immer und das gibt es jetzt nicht mehr. Hoffentlich lebt dein Theater weiter … Arjan Wendrich