Im Zweifel gegen die Fahrgäste

Der Bremer Senat plant den Umbau der Domsheide nicht barrierefrei. Was es zu gewinnen gibt, bleibt unklar. Der Landesbehindertenvertreter erwägt eine Klage

Das Problem ist der Weg zwischen den Stationen: Domsheide in Bremen Foto: Bahnfrend/Wikimedia Commons

Von Lotta Drügemöller

Schöner, sicherer, stressfreier – mit dem Umbau der Domsheide, dem zentralen Umstiegsplatz in Bremen nach dem Hauptbahnhof, sind und waren viele Hoffnungen verbunden. Doch die Planungsvariante, für die sich der Senat im Februar entschieden hat, schneidet ausgerechnet in zwei Hauptkriterien schlechter ab als eine Alternative: bei der Barrierefreiheit – und bei der allgemeinen Leistungsfähigkeit des ÖPNV.

Eine Petition der Nahverkehrsinitiative „Einfach ­Einsteigen“ gemeinsam mit mehreren Behindertenverbänden und Privat­personen will die Entscheidung des Senats noch einmal umstoßen. 1.013 Unterschriften kamen zusammen für die Forderung nach einem städtebaulichen Wettbewerb, der eine gute Lösung finden soll für alle Anlieger – das heißt insbesondere auch für das Konzerthaus ­„Glocke“: Die barrierefreie Variante war in der Diskussion vor ­allem gescheitert am Widerstand des Konzerthauses, das keine zentral gebündelte Haltestelle vor seinem Eingangstor sehen möchte.

Stattdessen soll an der Domsheide alles so ähnlich bleiben, wie es ist. In der Variante, für die sich der Senat entschieden hat, gibt es weiterhin zwei getrennte Haltepunkte: die Linien, die von Nord nach Süd fahren und umgekehrt, halten in einer Straße, die Ost-West-Linien in einer anderen.

Barrierefrei sei das in Zukunft, so der Senat, denn die Bahnsteige sollen angehoben werden, damit der Einstieg auch für Rollstuhlfahrer dann in voller Straßenbahnlänge möglich sein wird, ohne auf einen Lift angewiesen zu sein.

Doch das Problem, schon heute, ist der Weg zwischen den Stationen: Beim Umsteigen entsteht regelmäßig Gehaste zwischen den Umstiegspunkten, etwa 150 Meter müssen überwunden werden. Auf dem Weg queren Fahrradfahrer die Bahnlinien. „Spätestens hier bekomme ich als Blinder regelmäßig Probleme“, erklärt der ehemalige Bremer Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück bei der Begehung des Areals mit dem Petitionsausschuss. „Die Fahrradfahrer kann ich nicht hören. Es ist eine gefährliche Stelle, um mal eben umzusteigen.“

Besser würde in der neuen Planung nichts daran – im Gegenteil: Die beiden Haltepunkte würden sogar noch einmal 50 Meter weiter auseinandergezogen: Wer umsteigen möchte, muss dann 195 Meter zurücklegen – noch dazu mit einer Steigung, vor allem für Ältere, für Roll­stuhl­fah­re­r*in­nen und für Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen eine zusätzliche Hürde.

Unklar bleibt bei der Sitzung des Petitionsausschusses, was sich der Senat von seiner bevorzugten Variante verspricht. Ein Behördenvertreter soll Rede und Antwort stehen. Doch das bleibt unbefriedigend: Die Verkehrsbehörde, vertreten durch Gunnar Polzin, zieht sich auf die immer gleiche Formulierung zurück: „Aufgrund der überragenden städtebaulichen Bedeutung der Domsheide hat sich der Senat für die Variante 2.3 entschieden.“ Nur mit den auseinandergezogenen Stationen, so glaube der Senat, könne man der Bedeutung des Platzes gerecht werden.

Konkreter wird es nicht. Dabei ist die Annahme nicht selbsterklärend. In fast allen Punkten der frühen Bürgerbeteiligungsverfahren von 2019 gewann die zentrale Haltestelle gegenüber der getrennten: Bei der Barrierefreiheit sowieso, bei den Umstiegswegen, die in der zentralen Variante nur ein Fünftel der Strecke beträgt, aber auch bei der konfliktfreien Gestaltung des Fuß- und Radverkehrs.

Wer umsteigen möchte, müsste in der neuen Planung 50 Meter mehr zurücklegen – eine zusätzliche Hürde

Sogar gestalterisch punktet die zentrale Haltestelle: Auch Ortsfremde können sich klar orientieren zwischen den Haltestellen und hin zu den touristischen Attraktionen. Einzig bei den Freiflächen vor der „Glocke“ gewinnt Variante 2.3. Doch nach neueren Berechnungen geht es dabei nur noch um einen kleinen Raum: Von etwa 30 Zentimetern Platzunterschied zwischen den beiden Varianten ist im Petitionsausschuss die Rede.

Die „Glocke“ selbst argumentiert mit der Sicherheit für die geteilte Haltestelle: „Wir als Konzerthausbetreiber wollen im Notfall auch eine Entfluchtung hinbekommen“, sagt Pressesprecher Carsten Preisler. Diese Sicherheitsbedenken sind allerdings schon lange ausgeräumt, „es gibt keine Ausschlussgründe im Hinblick auf Gebäudeentfluchtung,“ heißt es in einer Vorstellung der Variante durch die damalige Stadtentwicklungsbehörde von 2019.

Was die Stadt konkret gewinnen kann, bleibt durch die Behördenaussagen unklar. Zu verlieren gibt es allerdings einiges: Arne Frankenstein, der als Landesbehindertenbeauftragter bisher leiser aufgetreten ist als sein streitbarer Vorgänger, nutzte die Sitzung des Petitionsausschusses für eine Ankündigung: „Die Variante 2.3 ist nicht barrierefrei. Sollte es zu einem Planfeststellungsbeschluss kommen, werde ich eine Klage in Erwägung ziehen.“ Eine Klage könnte die Planungen für die Domsheide über Jahre auf Eis legen. Nur bis 2030 ist gesichert, dass der Bund Mittel zum Umbau zuschießen würde.