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Leben mit Long Covid

„Am Überleben arbeiten“, taz vom 18. 4. 24

Ich kann die Berichte von Frau Zeiske und Frau Bock nur bestätigen. Meine Tochter ist nach der dritten Corona-Impfung im Dezember 2021 an Post Vac erkrankt. Symptome und Erkrankung sind genau gleich wie Long Covid. Inzwischen ist sie 17 Jahre alt und mangels einer Therapie hat sie eine chronische ME/CFS. Es gibt im ganzen Bundesland Hessen keine ärztliche Versorgung für Kinder und Jugendliche. Die bestehenden Corona Ambulanzen behandeln erst volljährige Patienten.

Die Uniklinik Kassel schafft gerade mal die Diagnostik von Long Covid, aber keine weitere Betreuung der Patienten. Die Anlaufstellen in den anderen Bundesländern sind total überfüllt und nehmen dann nur Patienten aus ihrem Bundesland. Es gibt für uns keine Unterstützung zum Beispiel durch die Anerkennung einer Pflegestufe. Der Grad der Behinderung wurde auf Grund einer psychischen Erkrankung auf 30 Prozent festgesetzt. Damit gibt es noch keine Unterstützung und Long Covid ist als psychische Erkrankung schlichtweg falsch eingruppiert.

Es gibt keine wirksame Therapie, also ist das Pacing die einzige Möglichkeit, die Krankheit aufzuhalten und nicht in eine tödlich endende Abwärtsspirale zu geraten. Pacing bedeutet das Gegenteil von lebendig sein und nichts ist darauf ausgerichtet. Facharztbesuche, Hausarztbesuche, Schule, Anträge für Unterstützung, Eingruppierung durch den medizinischen Dienst, Essen kochen, duschen, Kleidung anziehen, Gespräche mit Freunden – einfach alles – überschreitet die Belastbarkeit und führt zu einem Crash. Geschwister und Eltern fangen ganz viel auf und bekommen keine Unterstützung als pflegende Angehörige – dazu ist die Krankheit zu neu und die bestehenden Hilfen werden nicht gewährt. ME/CFS ist das chronische Post Covid oder Post Vac und seit 100 Jahren als Krankheit bekannt. Das Menschenrecht auf Teilhabe wird hier systematisch gebrochen. Long Covid macht die ganze Familie einsam.Die Schule kann über den Nachteilsausgleich angepasst werden aber bei keinem Kind so, dass ein Crash verhindert werden kann.

Solange es keine Therapie gibt, benötigt sie eine aufsuchende Medizinische Betreuung, eine Teilhabe an der Schule, kombiniert mit Heimbeschulung, Homeschooling, Avatar und Reduktion der Fächer und Stunden entsprechend der Belastungsgrenzen und nicht des Curriculums. Unterstützung durch die Pflegekasse und Unterstützung der pflegenden Familienmitglieder. Dass Hessen es sich leistet, diese Folgen der Pandemie zu ignorieren, ist ein Skandal.

Familie Maja Becker, Walluf

Keine Unterstützung bei Long Covid

Mein Sohn, 22 Jahre, vollständig geimpft, leidet seit Sommer 2022 an Long-Covid – er kann das Bett nur unter äußerster Kraftanstrengung verlassen. Die Krankenkasse zieht sich raus, wir haben bereits rund 20.000 Euro für Laborbefunde, Arzneimittel und Behandlungen wie Sauerstoffüberdrucktherapie und Blutwäsche bezahlt.

An ein selbständiges Leben oder gar sein geplantes Studium in den Niederlanden ist nicht zu denken. Er hat nicht genügend Kraft, um die wenigen Meter bis zur Wohnungstür zu laufen. Versucht er aufzustehen, schnellt sein Puls auf 130. Auch die Konzentrationsfähigkeit ist schwach. Nach einer Stunde Lesen ist seine Konzentrationsfähigkeit aufgebraucht. Dennoch ist er nur in Pflegestufe drei eingestuft. Immerhin ein Fortschritt, zunächst stufte ihn die Krankenkasse in Pflegestufe eins ein, woraufhin wir Widerspruch einlegten. Die Kassenärzte kamen mit ihrem Wissen schnell an ihre Grenzen – schließlich geht Long Covid einer Nature-Studie zufolge mit mehr als 200 Symptomen einher. Auf mehrmalige Nachfragen nach einem geeigneten Kassenarzt hüllte sich die örtliche Techniker-Krankenkasse in Schweigen, auch die Übernahme der Kosten für die derzeit behandelnde Privatärztin lief ins Leere. Ginge man nach der medizinischen Notwendigkeit, bräuchte unser Sohn zudem Gastroenterologen, Psychologen, Hämatologen, Lungenfacharzt und Long-Covid-Spezialisten. André van Ackeren, Duisburg