Und das ist gemalt?

AUFGEHÜBSCHT Wie Dekorationsmaler mit Farbe und Pinsel neue Materialien und Atmosphäre erzeugen, haben sie bei einem internationalen Treffen in Hamburg vorgeführt. Beinahe hätte die Raufasertapete dem Handwerk den Garaus gemacht

■ Für Inspiration, Beratung und weitere Kontakte steht die Hamburger Malerin Friederike Schulz unter www.friedrikeschulz.de gerne zur Verfügung.

■ Einen Einstieg in den Tapetenausstieg bietet auch das Buch „Dekorative Malerei“ von Ursula E. Benad und Hilde-Josephine Post, im Internet ab 4,94 Euro gebraucht erhältlich.

VON DARIJANA HAHN

Mit lockerem Pinselstrich trägt Gert-Jan Nijsse die rote Farbe auf. Tupfer für Tupfer und Strich für Strich nähert sich der 51-jährige holländische Maler seinem Ziel. Dieses heißt Sarancolin und beschreibt einen französischen Marmor aus den Pyrenäen. Am Ende sieht Nijsses Werk so echt aus, dass man meint, den kalten, glatten Marmor förmlich fühlen zu können.

Nijsse ist einer von 60 Dekorationsmalern aus der ganzen Welt, die sich einmal im Jahr treffen, um sich auszutauschen und inspirieren zu lassen. Zu diesem Kreis gehört auch die 38-jährige Friederike Schulz, die das diesjährige Treffen in Hamburg organisierte. Im Lichthof des Museums für Hamburgische Geschichte wollte die Malerin der Öffentlichkeit zeigen, „was alles an Wandgestaltung möglich ist“.

Während des viertägigen Treffens ist der Lichthof voll mit Malern, die innerhalb kürzester Zeit Papier zu Holz, Marmor, rostigen Eisenplatten oder dem weiten Himmel verwandeln und dabei solche Techniken wie Lasur, Vergoldung, Holz- und Marmorimitation, Grisaille- und Trompe-l‘oeil-Malerei anwenden.

Während viele der Künstler auf dem „Salon 2012“ genannten Treffen ihre Technik an einzelnen Werken vorführen, gibt es auch ein auf Hamburg bezogenes Gemeinschaftswerk, an dem jeder der Maler mitwirken kann.

Das zwei mal fünf Meter große Bild – eine Collage aus typischen Hamburg-Motiven mit Giraffen, Schiffen, Ankerketten, Kränen, Riesenrädern und Möwen – soll der Malerinnung in Hamburg überreicht werden, als „Ansporn für die Jugend“.

Die nicht gerade alte Friederike Schulz bedauert sehr, dass die dekorative Malerei seit den 60er-Jahren in der Malerausbildung nicht mehr gelehrt wird. Denn „was man in der Holz- und Marmorimitation an Fingerfertigkeit mit Pinseln und im Umgang mit Farbenmischen lernt“, sagt Schulz, „ist die Basis für alle andere Oberflächengestaltung.“

Die 38-Jährige wollte zuerst Bühnenbilderin werden, blieb aber bei der Dekorationsmalerei hängen, die sie nach ihrer Malerlehre in einer Zusatzausbildung in Paris von der Pike auf gelernt hat. „Franzosen und Engländer sind perfekt, was traditionelle Deko-Malerei angeht“, sagt die Expertin und zeigt zur Illustration auf eine klassische Pompeji-Wandbemalung, die im Lichthof ausgestellt ist.

Auch wenn sie durchaus traditionell arbeiten kann und aus schnöden Stahltüren im Schmidt-Theater auf St. Pauli trügerisch echte Mahagoni-Türen machte, wendet Schulz am liebsten traditionelle Fingerfertigkeit auf moderne, abstrakte Muster an. Damit gestaltet sie Räume in Wohnungen von „Normalverdienern“, wie Schulz betont. „Ich will, dass sich die Leute das leisten können“, wiederholt die Malerin mehrmals, um daran zu erinnern, dass dekorative Malerei in früheren Zeiten viel verbreiteter war – ob in der Stadtvilla oder im Bauernhaus.

Der Jahrtausende alten Tradition der individuellen Wandgestaltung beinahe den Garaus gemacht hätte die ab den 70er-Jahren auftauchende Raufasertapete, die nicht nur die Technik des Malens überflüssig machte, sondern auch die Farbenvielfalt verdrängte.

Mit ihr schien auch immer mehr das Know-how der Dekorationsmalerei zu verschwinden, bis 1996 europäische Dekorationsmaler im französischen Quimiac den Salon ins Leben riefen, um Techniken und Traditionen der Oberflächengestaltung zu bewahren und zu erneuern. Genau deswegen nimmt der holländische Maler Njisse jedes Jahr teil, selbst wenn das Treffen, wie im nächsten Jahr, im weit entfernten Japan stattfinden wird. „Als Dekorationsmaler lernt man auf diesen Treffen Sachen, die andere Leute nicht können“, sagt Njisse, seinen Marmor verfeinernd.

Organisatorin Schulz will nicht nur von ihren Kollegen lernen. Sie möchte auch Überzeugungsarbeit darin leisten, dass, wie sie sagt, „Farbe in den vier Wänden nicht erschlägt, sondern vielmehr beflügelt“. Sie will die Menschen darin bestärken, „mutig zu sein, für schöne Dinge“.