Auch das Metaverse ist von Menschen gemacht

Im Münchener Lenbachhaus vermisst die chinesische Künstlerin Cao Fei die Welt, in der Fantasie des Digitalen wie im wahren Leben

Wandern in der realen Fantasie: Cao Feis „MatryoshkaVerse 06“, 2022 Foto: Cao Fei 2024, Courtesy Sprüth Magers and Vitamin Creative Space

Von Verena Harzer

Der Weg in die digitalen Welten der chinesischen Künstlerin Cao Fei führt erst mal hinunter in die U-Bahn-Station am Münchener Königsplatz. Das Lenbachhaus hat dort eine Dependance, den „Kunstbau“, in einem Zwischengeschoss eingerichtet, auf halbem Weg zwischen Ober- und Unterwelt. Ganz passend für diese Schau mit dem holzigen Titel: „Meta-mentary“.

Ja, hier ist alles irgendwie Meta und Doku-Mentary. Cao vermisst die Welt neu. Im Digitalen wie im wahren Leben. Aus ihrer Sicht, der Meta-Sicht.

Was wir manchmal vergessen bei aller Faszination für digitale Räume, denen sich Cao besonders intensiv widmet: Anders als das Universe ist auch das Metaverse von Menschen gedacht und gemacht. Darüber erzählen die Werke dieser Ausstellung – über den menschlichen Faktor, die Abgründe, die Absonderlichkeiten, von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Das beginnt direkt hinter dem Eingang in den Kunstbau. Das Video, das dort in Dauerschleife an die Wand geworfen wird, zeigt zwei Jugendliche „Cosplayer“. Cos steht für „Costume“. Cosplayer sind Menschen, die sich wie ihre Helden aus ihren Lieblingscomputerspielen kleiden, um dann an realen Orten die Fantasiewelten nachzuahmen, die sie sonst nur vom PC-Bildschirm kennen.

Cao Fei, deren Arbeiten in New York, Paris, London und auch regelmäßig auf der Kunstbiennale in Venedig präsentiert werden, zeigt in ihrem Video Teenager in Anime- und Manga-Outfits. Sie streunen in verlassenen Häusern umher, posieren auf einer Wiese an einem Bach oder liefern sich gestellte Kämpfe. Neben dem spielerischen Spaß der Cosplayer-Gemeinde zeigt der Film die Ernsthaftigkeit, mit der die Jugendlichen ihre Rollen einnehmen. Das hat etwas Melancholisches, Verzweifeltes gar. Komplett gebrochen wird die Fantasie, wenn Cao ihre Protagonisten in ihren beengten Wohnungen mit den rauchenden Eltern vor dem TV zeigt.

Cao Fei zeigt Orte der Sehnsucht, die zugleich das Ergebnis einer Flucht vor der Realität sind. Es sind bessere Welten, schönere Welten, Welten, in denen jeder ein Held sein darf. Auch diejenigen, die mit dem schnellen Wandel der Realität nicht klarkommen.

Cao, die heute in Bejing lebt, wurde 1978 in der südchinesischen Millionenstadt Guang­zhou im Perlflussdelta geboren. Das ist der mittlerweile größte Ballungsraum der Welt mit heute um die 80 Millionen Einwohnern. Rasante Veränderungen gehören hier zum Alltag: In nur wenigen Jahrzehnten hat sich die ehemals ländliche Region zur „Fabrik der Welt“ entwickelt. Bekannt wurde Cao 2006 durch ihre Videoarbeit „Whose Utopia“, die in einer Fabrik des Glühbirnenherstellers Osram im Perlflussdelta entstand. Sie zeigt Fabrikangestellte, die für kurze Zeit ihren Traum leben: als Schwan verkleidet Ballett tanzen, eine E-Gitarre spielen oder Hip-Hop-Moves üben. Eine analoge Eskapismus-Fantasie inmitten einer hochtechnologisierten Arbeitswelt.

Im Grunde kreisen fast alle Arbeiten Caos um diese Themenfelder. So auch ihre „RMB City“ in „Second Life“. Im Jahr 2003 hat der US-Programmierer Philip Rosedale die virtuelle Welt „Second Life“ ins digitale Leben gerufen. Ein Ort, an dem die Menschen ihre eigenen virtuellen Existenzen per Maus, Joystick und Tastatur anlegen und steuern können. Cao Fei hat diese Welt seit 2007 intensiv erforscht und dort eine eigene Stadt, die „RMB City“, gegründet. RMB steht für die chinesische Abkürzung des Volkswährung Renminbi.

Cao wurde in Guangzhou im Perlflussdelta geboren. Das ist der größte Ballungsraum der Welt

Bis 2012 entstand dazu eine große Ansammlung an Blogeinträgen und Videoarbeiten. Es ist wohl Caos bislang umfangreichster Versuch, die Grenzen zwischen virtueller und physischer Welt auszuloten und zu dokumentieren. Im Kunstbau des Lenbachhaus werden die Zeugnisse der seit 2011 geschlossenen „RMB City“ digital-archäologisch zugänglich gemacht. Es gibt einen virtuellen Rundgang über die Entstehung und Entwicklung der Stadt und ein Offlinespiel, in dem die Stadt nachgebaut werden kann.

Cao war dort in Form des Avatars „China Tracy“ präsent, nun ziert ein deckenhohes Portrait des Alter Egos eine Wand im Kunstbau. Caos Videoarbeit „i.Mirror“ von 2007 erzählt von einer romantischen Begegnung zwischen China Tracy und der ebenfalls virtuellen Figur Hug Yue.

Auch Caos jüngste architektonische Kreation im Metaversum ist in der Ausstellung zu sehen: „Duotopia – 2nd Edition“ von 2024. Die App, in der sie funk­tioniert, ist derzeit allerdings ausschließlich im chinesischen Mobilfunknetz nutzbar. Wer darauf keinen Zugriff hat, muss sich derweil bei Bedarf in andere Alternativwelten flüchten.

„Cao Fei. Meta-mentary“: Lenbachhaus München, bis 8. September