Geld bedeutet Selbstbestimmung

Drei Jahre lang erhielten 122 Personen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Zwei von ihnen ziehen jetzt ein erstes Fazit. Das Konzept wird unterdessen zunehmend kritisiert

Eineinhalb Jahre Elternzeit: Sarah Bäcker mit ihrem Kind

Von Hannes Koch (Text) und Stefanie Loos (Foto)

Alles unter einen Hut zu bringen ist schwierig. Die fast zwei Jahre alte Tochter geht jetzt in die Kita. Ihre Mutter Sarah Bäcker stieg vorigen August wieder in die Arbeit als Architektin ein, zunächst mit 20 Stunden pro Woche. Mittlerweile hat sie auf 30 Stunden erhöht. „Mehr aber geht kaum“, sagt die Berlinerin, „ich bin so schon im Dauereinsatz.“

Beim Austarieren der fragilen Balance aus Kind, Arbeit und Partnerschaft hilft, dass die 42-jährige Architektin nicht unter finanziellem Stress leidet. „Ich muss keinen Vollzeitjob machen, um das nötige Geld zusammenzukratzen.“ Seit drei Jahren bekommt Bäcker zusätzlich zu ihren normalen Einnahmen 1.200 Euro monatlich überwiesen, als sogenanntes bedingungsloses Grundeinkommen.

Sarah Bäcker hatte das Glück, als eine von 122 Personen für dieses wissenschaftliche Experiment ausgewählt worden zu sein. Mit dem Pilotprojekt wollen unter anderem der Verein Mein Grundeinkommen und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausfinden, wie sich Haushalte der Mittelschicht verhalten, wenn sie materiell besser abgesichert sind. Arbeiten sie dann weniger oder mehr – oder anders? Geben sie ihren Leben eine neue Richtung?

Anfang Mai haben Sarah Bäcker und die übrigen Teilnehmenden ihre letzte Überweisung bekommen – Zeit für ein erstes Fazit. Die wissenschaftliche Auswertung des Experiments wird erst Anfang kommenden Jahres veröffentlicht. Wobei die grundsätzliche Idee dieser Sozialreform gerade jetzt verstärkt in die politische Auseinandersetzung gerät.

Vor Grundeinkommen und Kind arbeitete Bäcker sehr viel. Sie war gleichzeitig als Architektin und selbstständige Ausstellungsmacherin tätig und verdiente etwa 2.000 Euro netto monatlich. Die 1.200 Euro zusätzlich verschafften ihr eine finanzielle Sicherheit, die sie bis dahin nicht kannte. Nach der Geburt ihrer Tochter Alva fand sie sich in der komfortablen Lage, mit Grundeinkommen, Eltern- und Kindergeld einen ähnlichen Betrag zur Verfügung zu haben wie vorher. Deshalb konnte sie sich für anderthalb Jahre Elternzeit ohne bezahlte Arbeit entscheiden.

Und jetzt, da die Architektin mit ihrer 30-Stunden-Stelle wieder ungefähr 2.000 Euro netto selbst verdient, braucht sie das Grundeinkommen für das tägliche Leben eigentlich nicht mehr. Wie auch vor der Mutterschaft lässt sie das Geld auf dem Konto, wo sich mittlerweile ein Puffer von rund 15.000 Euro angesammelt hat. Mit diesem kleinen Vermögen im Rücken könne sie sich „zum Beispiel in gewissem Rahmen selbst entscheiden, wie viel ich arbeite“, sagt Bäcker. Genug Geld bedeutet Selbstbestimmung – das ist für sie ein wesentliches Fazit aus dem Projekt.

Antonio Brettschneider, Professor für Sozialpolitik an der Technischen Hochschule Köln, einer derjenigen, die das Projekt wissenschaftlich begleiten, sagt es so: „Mir geht es um einen Hauptbegriff: Autonomie.“ Ihn interessiert die Frage: „Inwieweit kann ein Grundeinkommen dazu beitragen, dass Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben und ihren Lebenslauf mittel- und langfristig so zu gestalten, wie sie es eigentlich möchten?“

Ein Traum wird wahr

Wie weit ein solcher Entscheidungsspielraum reichen kann, lässt sich an Elisabeth Ragusa beobachten, einer anderen Teilnehmerin des Pilotprojekts. Bis zum Frühjahr 2023 arbeitete die heute 31-Jährige als Industriekauffrau in einer Druckerei, die Etiketten zum Beispiel für Weinflaschen herstellte. Dann machte sie Schluss mit dieser Tätigkeit, die sie nicht ausfüllte. Und sie begann, auf Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde an der Pädagogischen Hochschule im baden-württembergischen Freiburg zu studieren.

Früher war das nur ein Traum für Elisabeth Ragusa, weil sie Angst hatte, fünf Jahre Universität finanziell nicht durchzustehen. „Ein Studium muss man sich ja leisten können“, sagt sie, „das erschien mir nicht möglich.“ Die regelmäßige Zahlung der zusätzlichen 1.200 Euro monatlich, von denen sie einen guten Teil sparen konnte, gab den Ausschlag. Jetzt studiert sie im dritten Semester, fühlt sich am richtigen Platz: „Ich freue mich schon darauf, meine zukünftige Klasse an der Schule zu unterrichten.“

Solche Erfahrungen mit dem Grundeinkommen zeigen, dass dadurch das System der Arbeit etwas weniger Stress und Zwang ausüben würde. Damit liegt das Vorhaben einerseits im Trend: Seit Jahrzehnten geht die Arbeitszeit pro Kopf zurück, die Selbstbestimmung im Job wird wichtiger, manche Leute arbeiten mittlerweile öfter zu Hause als im Büro, Freizeit hat einen höheren Stellenwert.

Andererseits hat das Thema gerade keine gute Konjunktur. Die Wirtschaft stagniert. Viele Privathaushalte, Firmen und Po­li­ti­ke­r:in­nen machen sich Sorgen. Die Angst vor Wohlstandsverlust geht um. Und da wird über einen solchen Luxus diskutiert? Ein Grundeinkommen für alle Bür­ge­r:in­nen wäre mit etwa 1.000 Milliarden Euro pro Jahr irrwitzig teuer und nur durch höhere Steuern für Leute mit gutem Einkommen zu finanzieren.

Ohne Bedingungen

Über 2 Millionen Leute bewarben sich vor dem Start 2021, 122 wurden ausgewählt – ausschließlich Haushalte bestehend aus einer Person zwischen 21 und 40 Jahren, die zwischen 1.200 und 2.600 Euro netto monatlich zur Verfügung hat. Die Teil­neh­mer:in­nen erhielten drei Jahre lang 1.200 Euro ohne Bedingungen hinzu.

Spendenfinanziert

Das Geld stammt aus Spenden. Unter anderem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung untersucht, wie Personen der Mittelschicht mit dem Grund­einkommen umgehen. (koch)

Entwicklung zum Kampfbegriff

Außerdem steht die Forderung im Raum, mehr zu arbeiten, um den Mangel an Beschäftigten auszugleichen. Aber führt das Grundeinkommen nicht gerade dazu, dass weniger gearbeitet wird? Die Erfahrungen von Sarah Bäcker und Elisabeth Ragusa könnte man in diese Richtung deuten, wobei sie nur eine Momentaufnahme darstellen.

FDP und Union benutzen den Begriff Grundeinkommen nun, um SPD und Grüne in Bedrängnis zu bringen. Dabei geht es nicht um das Konzept an sich – es dient den Kri­ti­ke­r:in­nen als Symbol für Sozialleistungen, die aus ihrer Sicht ausufern. So zog Bundesfinanzminister Christian Lindner beim jüngsten Parteitag seiner FDP gegen das Bürgergeld zu Felde, das Hartz IV abgelöst hat. Die höheren Leistungen und andere Verbesserungen, die vor allem der SPD am Herzen liegen, gehen den Liberalen zu weit, sie fordern ein härteres Vorgehen gegen die Arbeitslosen. Das Bürgergeld sei „kein bedingungsloses Grundeinkommen“, schimpfte Lindner – obwohl das eine mit dem anderen wenig zu tun hat. Und die CDU beschloss unlängst, sie wolle das Bürgergeld wieder abschaffen, wenn sie an die Regierung käme. In diesem Zusammenhang hat CDU-Chef Friedrich Merz gegen das Grundeinkommen polemisiert.

„Das Wort wird zunehmend zum Kampfbegriff“, stellt Jürgen Schupp fest, der das Projekt beim DIW begleitet. „Das Grundeinkommen ist fast schon ein Triggerthema, das emotional aufgeladene und unversöhnliche Reaktionen auslöst.“ Dabei sei das Konzept grundsätzlich vernünftig. Mehr soziale Sicherheit und individuelle Selbstbestimmung könnten dazu beitragen, dass die Beschäftigten länger im Leben sowohl arbeitsfähig als auch motiviert blieben.