Die rechte Allianz

Die Angriffe auf Po­li­ti­ke­r:in­nen passieren nicht im luftleeren Raum. Sie werden möglich in einem Klima, in dem die Mehrheitsgesellschaft rechten Terror zu lange kaum beachtet hat

Eine Demo der rechtsextremen „Freien Sachsen“ im November 2022 in Dresden Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Andreas Speit

Der Beginn bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Schon in den ersten Tagen des Wahlkampfs für die Europa- und Kommunalwahlen gab es Angriffe auf Politiker*innen. Am Freitag voriger Woche wurde der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Aufhängen von Wahlplakaten brutal zusammengeschlagen. Er erlitt einen Jochbeinbruch, Hämatome und Schnittverletzungen.

Mit blauem Auge und Pflaster zeigte er sich später bei X. Tatverdächtig sind vier Jugendliche zwischen 17 und 18 Jahren, die Kontakte zur rechtsextremen Szene gehabt haben sollen. Es gibt Hinweise auf Verbindungen zur rechtsextremen Gruppierung „Elblandrevolte“.

Am Dienstag, vier Tage nach dem ­Angriff auf Ecke, wurden in Dresden die Grünen-Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen Yvonne Molser und Cornelius Sternkopf attackiert, auch dieser Angriff geschah beim Aufhängen von Wahlplakaten. Tatverdächtig sind ein Mann und eine Frau. Der Mann soll die Politikerin beiseite gestoßen und bedroht haben, die Frau bespuckte sie.

Am selben Tag schlug ein Mann in einer Berliner Bibliothek der Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey einen Beutel mit hartem Inhalt auf den Kopf. Der Tatverdächtige könnte laut Polizei eine psychische Erkrankung haben.

Die grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, wurde nach einer Parteiveranstaltung in brandenburgischen Lunow-Stolzenhagen bedrängt.

Deutschland 2024, ganz normal? ­Festellen lässt sich eine Entkultivierung in den Debatten. Sie ist schon lange offensichtlich, bei Themen wie der Flüchtlingspolitik, bei Subventionskürzungen für die Agrarwirtschaft und dem Heizungsgesetz. Den Worten folgen Taten.

Verbale Entgleisungen kamen und kommen nicht nur aus dem Milieu der AfD. Politische Ge­g­ne­r*in­nen werden als politische Feinde markiert – das ist eine semantische Differenz, der die Option innewohnt, entweder miteinander zu reden oder zuzuschlagen. Diese Differenz mag bei den Attacken auf die rot-grün-gelbe Bundesregierung aus der Opposition als auch aus den Medien nicht so bewusst zu sein. Bei der Analyse der Sprache des Nationalsozialismus warnte Victor Klemperer in „LTI“ aber gleich nach 1945: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Die permanente Wiederholung von verbalen Angriffen treibt die Entkultivierung voran.

So berechtigt die Kritik an der Bundesregierung sein mag, so auffällig ist eine Reduzierung. Die FDP wird weniger angefeindet. Der Hass und die Hetze fokussieren sich vor allem auf die Grünen. Bei den Bauernprotesten in diesem Winter fiel das besonders auf. Die Proteste offenbarten auch, dass die Enthemmung nicht bloß im Osten der Republik zunimmt. Im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel verhinderten im Januar aufgebrachte Land­wir­t*in­nen, dass Robert Habeck eine Fähre verlassen konnte. Im baden-württembergischen Biberach mussten die Grünen wegen massiver Proteste ihren traditionellen Aschermittwoch absagen.

Die Drohkulisse hat sich aber schon lange vor den Angriffen der vergangenen Tage aufgebaut. Die Taten passieren nicht im luftleeren Raum. Doch die Geschichte des rechten Terrors in der Bundesrepublik ist auch immer eine Geschichte der Verdrängung, Verharmlosung und des Vergessens. Eine Ignoranz, die auch mit ermöglichte, dass der NSU unerkannt zehn Menschen ermorden konnte.

Die alltäglichen Angriffe in den Jahren nach der Wende von Rechtsextremen gegen alle, die als Feinde markiert waren, wurden erst fast 30 Jahre später unter dem Hashtag „Baseballschlägerjahre“ breiter thematisiert. Die Brandanschläge in den 1990er Jahren, bei denen mindestens 32 Menschen starben, erinnert sich die weiße Mehrheitsgesellschaft kaum. Und wenn, dann zu den Jahrestagen von Mölln und Solingen, an denen an ein rituelles „Nie wieder“ gemahnt wird.

Könnte einer der Gründe sein, was die Anwälte von Semiya Şimşek vor Beginn des NSU-Verfahren zum Umgang mit den Opfern fragten? „Liegt es daran, dass es eine schwache Bevölkerungsgruppe trifft, die Migranten?“ Der Vater von Şimşek, Enver Şimşek, war der Erste, der vom NSU ermordet wurde.

Das Kaum-Erinnern fällt jetzt ebenso bei den Bedrohungen der Po­li­ti­ke­r*in­nen auf. Die Ermordung Walter Lübckes durch einen Rechtsextremen, der der AfD Geld spendete und an deren Kundgebungen teilnahm, wird bei der Bedrohung von Po­li­ti­ke­r*in­nen kaum bis gar nicht erwähnt. 2019 erschoss der Täter den Regierungspräsidenten, weil der CDU-Politiker sich für Geflüchtete einsetzte. Einer schoss, doch mehrere hatten lange zuvor den Ton gesetzt.

Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf denn auch Erika Steinbach via Twitter vor, eine „Mitschuld“ an dem Mord zu haben, da die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung „auf ihren Social-Media-Kanälen“ Hass gegen Lübcke verbreitet habe.

Schnell werden die Täter – überwiegend männlich – zu Einzeltätern erklärt. Sie alle sind jedoch, wie der Attentäter aus Halle und in Hanau, in eine Hass-Community eingebettet, die zur Tat antreibt. Ein Vorbild dieser internationalen „White Supremacy“-Szene ist der Attentäter, der in Neuseeland 51 Menschen hinrichtete. Das Morden konnte live auf einem Portal für Computerspiel-Videos verfolgt werden. Eine Gamefizierung des rechten Terrors, bei dem das Publikum im Livestream weltweit zusehen kann.

Vor Jahren warnten bereits Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer vor neuen „Bedrohungs­al­lian­zen“. Diese Bedrohungen beginnen mit Verschiebungen auf der Einstellungsebene, schrieben sie 2020. Diese Verschiebungen bemühten sich aber manche Politikwissenschaftler*innen, Po­li­ti­ke­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen schon bei Pegida zu verharmlosen.

Matthias Ecke nach dem Angriff Foto: Matthias Ecke/spd sachsen/dpa

Enttäuschte „Wutbürger“ seien da bloß auf der Straße, Galgen mit Po­li­ti­ke­r*in­nen­fi­gu­ren irritierten allerdings schon ein wenig. Dieses Ausbrechen einer „rohen Bürgerlichkeit“ aus der gesellschaftlichen Mitte mahnte Heitmeyer früh an. Die Rohheit trifft Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen seit der Krise der Flüchtlingspolitik 2015 und den Pan­de­mie­maßnahmen 2020 verstärkt.

Die Bedrohungsallianz umfasst Einzelpersonen, die Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit teilen, sowie ein Milieu von Bewegungen und Parteien, die „autoritär-nationalradikal“ ausgerichtet sind, als auch Zellen und Unterstützende, die terroristisch und klandestin agieren, schreiben Heitmeyer, Freiheit und Sitzer.

Im Februar dieses Jahres offenbarte das kommunale Monitoring, dass 38 Prozent der befragten Ober­bür­ger­meis­te­r*in­nen und Land­rä­t*in­nen Anfeindungen erleben mussten. Die rechtsextremen Straftaten sind 2023 erneut gestiegen, auf 28.945. Die Gewalttaten auf 1.270. Insgesamt sind es über 41.640 Straf- und Gewalttaten.

Statistisch werden pro Tag in Deutschland 117 rechtsextreme Taten verübt. Ein Terror, der bisher kaum aufschreckt. Der rechte Terror beginnt aber nicht erst, wenn geschlagen oder geschossen wird, er beginnt, wenn Menschen ihr Leben aus Angst umstellen. Und Wahlkämpfende sich überlegen müssen, wie sie sich schützen.