Sarah LorenzPMS Ultras
: Aurora Menstrualis

Foto: Fo­to: ­privat

Worauf kann man sich ­eigentlich noch verlassen? Auf terminierte ­Stimmungsschwankungen schon mal nicht! „Noch acht Tage bis zu Ihrer nächsten Periode“, drohte mir meine Zyklus-App. „Ihre Periode beginnt JETZT“, verlautete das Blut z­wischen meinen Beinen. Ein seltenes Ereignis.

Ich habe einen langen Zyklus, meist zwischen 34 und 36 Tagen. Wenn meine Periode unregelmäßig kommt, dann eher zu spät, ganz selten zu früh. Und niemals acht Tage zu früh! Das verwirrt mich kolossal. Wirklich. Was soll ich denn nun fühlen? Normalerweise wäre ich heute wütend, jeden Satz meines Mannes unterm Mikroskop nach ­Verfehlungen durchsuchend. Morgen wäre ich traurig, schweres Herz, schwerer Kopf, schwere Beine, Antriebs­losigkeit, Entschuldigungen formu­lierend selbstmitleidig im Bett ver­lotternd.

Jetzt steht alles kopf. Ich blute zwar, aber eigentlich gibt meine Menstruation die ersten zwei Tage den Zauberlehrling Walle! Walle! In vollem Schwalle! oder wie das heißt. Dieses Mal ist sie schüchtern, warum denn bloß? Wir kennen uns doch seit über 25 Jahren. Na, gab wohl nicht viel abzulösende­ ­Gebärmutterschleimhaut. Vielleicht aber traut sie sich auch nicht, weil sie weiß, in welche Verwirrung sie mich mit ihrer Unzuverlässigkeit statt der sonstigen überpreußischen Pünktlichkeit gestürzt hat? Was auch immer der Grund für ihre Schüchternheit und ihr ver­frühtes Eintreffen sein mag – ich bin nicht die Psychoanalytikerin meiner Monatsblutung, ich bin genervt. Und traurig. Und voller Selbstzweifel. Und habe Angst. Also fast alles – bis auf die Wut –, wie es sein sollte. Nur blute ich doch bereits. Dann kann es kein Prä­menstruelles Syndrom sein. Ein menstruelles Syndrom also. Das Prä wurde über­sprungen. Meine Menstruation ein Überflieger, Grundschule ausgelassen, gleich Abitur, ich bin ja so stolz auf sie.

Bin ich nicht, im Gegenteil. Langsam merke ich die Wut sich nähern, und zwar weil ich diesen Monat keine Erklärung für meine unangenehme Gefühlslage aufzuweisen habe. Keine Rechtfertigung. Vor mir und den anderen Betroffenen (allen Menschen, die mir nahe stehen). Die Sonne scheint (okay, die mag ich eh nicht so, anderes Thema), ich habe wenig zu tun, ich bin gesund, der Kühlschrank ist voll, ich habe 200 ungelesene Bücher im Haus, gerade eine tolle Serie („Die Zweiflers“ in der ARD-Mediathek) begonnen, die weiterzugucken ich voller Vorfreude bin, es gibt folglich keinen Grund für meinen Schwermut. Ein interessantes Wort auch: Den Mut zur Schwere zu haben. Ja! Den besitze ich! Primär prämenstruell!

Bestimmt ließen sich in diversen Internetforen Erklärungen für das verfrühte Eintreffen meiner Periode finden. Höchstwahrscheinlich der Mond oder der Frühling, einem von beidem wird doch meist die Verantwortung zugeschoben.

Nein! Jetzt weiß ich! Es fällt mir wie Schuppen von den Augen, dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin: die Polarlichter! Wenn das keine Schlagzeile wert ist, dann nehmt mir den Mut zur Schwere.

For­sche­r*in­nen haben eine unglaubliche Entdeckung gemacht: eine mittelalte Frau im Norden Deutschlands hat ihre Periode acht Tage zu früh bekommen. Verantwortlich hierfür ist die – durch einen extremen Sonnensturm ausgelöste – Aurora Borealis.

Ich bin genervt. Und traurig. Und voller Selbstzweifel. Und habe Angst. Also alles, wie es sein sollte

Klingt überzeugend, oder?