„Zu wolkig formuliert, zu unkonkret“

Die Deutsche Umwelthilfe hält das Klimaschutzprogramm des Bundes für unzureichend – und hat geklagt. In Berlin hat nun die lang erwartete Gerichtsverhandlung stattgefunden

Die Emissionen müssen runter – doch die Sektorenziele, etwa für Verkehr, hat die Ampel abgeschafft Foto: S. Ziese/imago

Von Nick Reimer

Für Jürgen Resch ist es „die Mutter aller Schlachten“: Vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg wird seit diesem Donnerstag die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die Bundesregierung wegen unterlassenem Klimaschutz verhandelt. „Diesmal geht es nicht um einzelne Sektorengrenzen, nicht um einzelne Jahresbilanzen. Diesmal geht es um den gesamten Klimaschutz der Koalition“, sagte der DUH-Geschäftsführer vor der Verhandlung.

Im Fokus stehen die sogenannten Klimaschutz-Programme: 2019 hatte die damalige Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) ein Klimaschutz-Gesetz beschlossen, das vorsah, die deutschen Emissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Erreicht werden sollte das mit dem sogenannten Klimaschutz-Programm, also konkreten politischen Maßnahmen. Um wirklich sicherzustellen, dass jeder einzelne Sektor seine Emissionen senkt – etwa Verkehr, Bau, Industrie, Landwirtschaft –, wurde nach dem Vorbild der britischen Klima-Gesetzgebung ein Expertenrat eingesetzt, der überprüfen soll, ob die im Klimaschutz-Programm beschriebenen Maßnahmen ausreichen, um auf den notwendigen Reduktionspfad zu gelangen.

Die Deutsche Umwelthilfe befand die beschriebenen Maßnahmen zu unkonkret und klagte 2021 dagegen: Aus der Maßnahme „Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs“, wie es im Klimaschutz-Programm heißt, könne niemand ablesen, wie viele Tonnen Treibhausgas tatsächlich gespart werden. Allerdings wurde der Verhandlungstermin dreimal verschoben, „mit teils fadenscheinigen Begründungen“, findet Jürgen Resch: „Diese Regierung versucht sich vor dem Klimaschutz zu drücken.“

Doch bevor es in den Gerichtssaal 301 am Oberverwaltungsgericht geht, muss die veränderte Rechtslage erörtert werden: 2021 hatten mehrere Personen, darunter neun junge Menschen, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimagesetz von 2019 eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass dieses die Freiheits- und Grundrechte der kommenden Generationen beeinträchtigt. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) war sich nicht zu schade, nach dem Urteil zu erklären: „Die Entscheidung gibt uns die Chance, für mehr Generationengerechtigkeit zu sorgen“. Dabei war er maßgeblich an jener Gesetzgebung beteiligt, die zu Gunsten seiner Generation formuliert worden war.

Wegen des Urteils musste die Koalition aus Union und SPD deshalb ein neues Klimaschutz-Gesetz erarbeiten. Ziel ist jetzt, die deutschen Emissionen 65 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Wirksam wurde das Gesetz kurz vor der Bundestagswahl 2021. Und wieder soll ein Klimaschutz-Programm die notwendigen Maßnahmen zum Erreichen des Zieles festschreiben. Das legte die Ampel-Regierung im Oktober 2023 fest. Für die DUH war das rot-grün-gelbe Programm aber ebenso schlecht: „zu wolkig formuliert, zu unkonkret“, kritisierte DUH-Anwalt Remo Klinger am Donnerstag im Gerichtsaal.

Die neueste juristische Wendung stammt vom 26. April dieses Jahres: Da hat die Ampel ein eigenes Klimaschutz-Gesetz auf den Weg gebracht. Allerdings ist das noch nicht in Kraft. „Deswegen ist das neue Klimaschutz-Gesetz für dieses Verfahren unerheblich“, erklärte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle. Und damit sind wir im Gerichtssaal, der mit vielleicht einhundert Besuchern gut gefüllt war. Ihr sei wichtig, das Verfahren öffentlich zu verhandeln, sagte Holle, „damit es Teil der öffentlichen Debatte wird“.

Am deutlichsten wurde das juristische Tauziehen bei der Einschätzung des Klimaschutz-Programms von 2023: Die Verteidigung argumentierte, dass ein solches rechtlich nicht verpflichtend vorzulegen sei, die Bundesregierung habe es „freiwillig“ erarbeitet. DUH-Anwalt Klinger erklärte dagegen, das Programm sei das „zentrale rechtliche Dokument des deutschen Klimaschutzes.“ Folgt der zuständige 11. Senat dieser Ansicht, gehen Beobachter davon aus, dass die Ampel ihre Klimaschutz-Politik komplett neu aufstellen muss.

„Diese Regierung versucht sich vor dem Klimaschutz zu drücken“

Jürgen Resch, DUH-Geschäfts­führer

Ob es schon an diesem Verhandlungstag zu einem Urteil kommt, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest. Das Gericht hat sich dafür bis kommenden Mittwoch Zeit eingeräumt.

Dann allerdings könnte die Rechtslage schon wieder eine andere sein. Im Bundesrat nämlich wird an diesem Freitag jenes Klimaschutz-Gesetz beraten, das die Ampel auf den Weg gebracht hat. Im Bundestag kritisierte die Union, dass die Koalition die vormals verbindlich festgeschriebenen Sektorziele gestrichen hat. Damit werde „das Herzstück entrissen“. Umweltverbände haben deshalb die Union aufgefordert, im Bundesrat das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zu überweisen.