Campen gegen größeres Teslawerk

Am kommenden Wochenende wollen Klimaaktivist*innen die E-Auto-Fabrik in Grünheide blockieren. Es ist die erste größere Aktion des Bündnisses „Disrupt“

„Destroy Tesla!“ (Tesla zerstören) hieß es schon Ende April bei einer Aktion in Berlin-Kreuzberg. Mehrere Gruppen, auch „Tesla den Hahn abdrehen“ waren dabei Foto: Fo­to:­ Annette Riedl/dpa

Von Katharina Schipkowski

„Y“, gesprochen: „Why“, also „Warum“, heißt das E-Auto-Modell, das der Tesla-Konzern in seinem Werk im brandenburgischen Grünheide produziert. Warum – das fragen sich auch die Aktivist*innen: Warum hier? Warum Tesla? Warum sollte man Wald roden, um die Fabrik, die zum Teil in einem Trinkwasserschutzgebiet steht, weiter auszubauen?

„Schon jetzt werden dort jährlich rund 300.000 Blechlawinen produziert, die unsere Straßen und Städte verstopfen“, kritisiert der Sprecher des linken Bündnisses „Disrupt Tesla“. „Die Tesla-Fabrik steht für Luxus­autos, Profite für Elon Musks Großkonzern und den Raubbau von Ressourcen im Globalen Süden“, sagt Becker. „Das ist das Gegenteil von dem, was wir als Gesellschaft brauchen, nämlich gute Konzepte für eine soziale Verkehrswende.“ Den weiteren Ausbau der Fabrik wollen die Ak­ti­vis­t*in­nen verhindern.

Für das kommende Wochenende mobilisiert „Disrupt“ nach Grünheide. Aus ganz Deutschland sollen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen anreisen, um das Teslawerk zu blockieren. Von Mittwoch bis Sonntag soll es ein Camp für mehr als 700 Personen geben, darüber hinaus gibt es eine Bettenbörse für Privatunterkünfte in Berlin und Umgebung. Ziel der Ak­ti­vis­t*in­nen ist es, die E-Auto-Produktion der Fabrik lahmzulegen – oder zumindest deren Ablauf zu stören. Außerdem planen sie Workshops, Waldspaziergänge und eine Demonstration am Sonntag, den 12. Mai.

Die Tage vom 8. bis 12. Mai sollen die erste große Aktion des Bündnisses Disrupt werden, das aus einem Neufindungsprozess von „Ende Gelände“ im vergangenen Sommer hervorgegangen ist. Auslöser dafür war die Feststellung, dass sich das Label Ende Gelände überholt hat – die Zeiten der Massenaktionen gegen Kohlekraftwerke im Rheinland sind vorbei, der Kohleausstieg ohnehin beschlossene Sache. 2021 orientierte sich das Bündnis thematisch um und erklärte die Gasindustrie zum neuen Hauptgegner. Doch die Teilnehmerzahlen von knapp 8.000 Ak­ti­vis­t*in­nen in weißen Maleranzügen im Jahr 2019 konnte das Bündnis nie wieder erreichen.

Das hat neben der Coronapandemie auch inhaltliche Gründe: Die Kritik an fossilem Gas ist schwieriger zu vermitteln als die an Steinkohle oder Braunkohle. Für Gas werden keine Dörfer abgebaggert, auch hinterlässt die Förderung keine dystopisch anmutenden, schwarz-braunen Krater in der Landschaft. Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs trug ihren Teil dazu bei, dass Gas in der Öffentlichkeit eher als notwendiger Garant für eine stabile Energieversorgung gilt denn als fieser Klimakiller. Und während die Antikohleproteste im Rheinland eine jahrelange Tradition auch in der lokalen Bevölkerung haben, lässt sich vergleichbares nicht über Anti-Gas-Proteste sagen.

Und dann kam im vergangenen Jahr auch noch die Flaute von Fridays for Future. Wie viele andere soziale Bewegungen erholten die Fridays sich nur schlecht von den Strapazen der Coronapandemie. Auch die jungen Ak­ti­vis­t*in­nen konnten ihre Teilnehmerrekorde aus dem Jahr 2019 nie wieder erreichen. Das 1,5-Grad-Ziel hatte als Maxime ausgedient – ganz einfach, weil es realistisch nicht mehr zu erreichen ist. Die Krise beim größten Player der Klima­bewegung hat sich auch demotivierend auf andere Teile der Bewegung ausgewirkt.

„Die ganze Klimabewegung befindet sich in den letzten zwei Jahren in einem Suchprozess“, sagt ein*e anonyme Aktivist*in, der*­die sich Noa nennt. Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung hätten sich breit gemacht, auch weil der Rückhalt in der Bevölkerung bröckele und die Bundesregierung nicht entsprechend handele. Disrupt sei der Versuch, wieder in die Offensive zu kommen. Das neue Bündnis solle als gemeinsame Austausch- und Aktionsplattform für die radikaleren Teile der Klimabewegung fungieren – also diejenigen, die nicht nur demonstrieren, sondern auch besetzen und blockieren wollen. Die anderen Gruppen, die sich angeschlossen hätten, kämen etwa aus dem Umfeld von Waldbesetzungen, Verkehrswende- oder Tierrechtsaktionen. „Wir wollen ein verbindendes Moment für die Klimabewegung schaffen und dabei die Kapitalismuskritik in den Vordergrund stellen“, sagt Noa.

Eine große und zentral organisierte Massenaktion pro Jahr, wie es sie in den vergangenen Jahren bei Ende Gelände immer gab, soll es bei Disrupt nicht geben. Der Fokus soll eher auf kurzfristigeren, kleineren Aktionen liegen, die von regionalen Gruppen oder Bündnissen organisiert werden. Formal besteht Ende Gelände zwar weiter, es soll aber keine eigenen Großveranstaltungen mehr geben.

„Wir wollen ein verbindendes Moment für die Klimabewegung schaffen“

Noa, Kli­ma­ak­ti­vis­t*in

Hinter den Aktionstagen in Grünheide steht neben Disrupt als maßgebliche Organisationsstruktur das Bündnis „Tesla den Hahn abdrehen“, das sich aus linken Berliner und Potsdamer Gruppen zusammensetzt. Daran beteiligt ist auch die Bürgerinitiative Grünheide, die sich seit Bekanntwerden der ersten Pläne zur Teslafabrik gegen deren Bau und Ausbau wehrt. „Tesla zerstört und vergiftet unsere Umwelt“, sagt Manu Hoyer. Die Rentnerin aus Grünheide ist Sprecherin der Initiative und hat im März nach eigenen Angaben die größte Demonstration organisiert, die Grünheide je gesehen hat – mit über 1.000 Teilnehmer*innen.

„Dass die Landesregierung gegen den Willen der Bevölkerung den Ausbau der Fabrik durchdrücken will, ist eine Frechheit“, sagt Hoyer. Bei einer Bürgerbefragung hatten die Ein­woh­ne­r*in­nen Grünheides Ende Februar mehrheitlich gegen den Ausbau gestimmt. Doch das Votum ist nicht bindend. Elon Musk will das Fabrikgelände von 300 Hektar auf knapp 500 Hektar vergrößern und die Produktion auf eine Million Autos im Jahr steigern. Die Gemeinde Grünheide hält trotz der Ablehnung aus der Bevölkerung grundsätzlich an den Ausbauplänen fest, schlägt aber eine kleinere Expansion vor, bei der nur 50 weitere Hektar Wald gerodet werden müssten.

Einen Teil des Waldes, der dem neuen Bebauungsplan zum Opfer fallen würde, halten Ak­ti­vis­t*in­nen derzeit besetzt. Seit Februar haben rund 50 bis 80 Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen in der Nähe der Fabrik Baumhäuser, Plateaus und Barrikaden errichtet. Die Besetzung ist noch bis zum 20. Mai angemeldet. Was danach passiert, hängt wohl auch ein Stück weit davon ab, wie viele Menschen am kommenden Wochenende ihren Weg in den Wald finden.