Boliviens Präsident zwischen allen Stühlen

Ein neues Gesetz über Steuern und Abgaben für Erdölkonzerne gefällt weder den Konzernen noch der Opposition

BUENOS AIRES taz ■ Steuern und Abgaben in Höhe von insgesamt 50 Prozent müssen künftig Konzerne an den bolivianischen Staat entrichten, die in dem Andenland Erdöl und Erdgas fördern. Der Kongress hat am Dienstag ein Gesetz angenommen, wonach künftig die Konzerne 18 Prozent an Ausbeuterechten (Royalties) und 32 Prozent an Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssen. Präsident Carlos Mesa hat das Gesetz passieren lassen und davon abgesehen, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen.

Zehntausende von Demonstranten sind in den vergangenen Tagen gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. Allein am Montag hatten etwa 12.000 Demonstranten vor dem Sitz der Regierung in La Paz die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölindustrie sowie die Schließung des Parlaments gefordert. Indigena-Organisationen, Gewerkschaften und Kokabauern fordern, dass den transnationalen Energiekonzernen 50 Prozent Royalties abgeknöpft werden, weil sie fürchten, die Firmen könnten durch geschickte Buchhaltung Steuern einsparen und am Ende weniger als die Hälfte ihres Gewinns beim Staat abliefern – und damit bolivianische Bodenschätze zu billig einkaufen.

Die transnationalen Energiefirmen hingegen hatten bereits im Vorfeld gedroht, ihre Projekte in Bolivien zu stoppen und das Land zu verlassen, sollte das Gesetz von Mesa angenommen werden. Auch wiesen sie darauf hin, dass in ihren Verträgen niedrigere Roylties festgeschrieben seien, und drohten mit Klage. Jetzt haben sie sechs Monat Zeit, ihre Verträge umzuwandeln. Der brasilianische Staatskonzern Petrobras hatte bereist vor wenigen Wochen seine Investitionen in Bolivien eingefroren. Die Konzerne behaupten, dass die Erdöl- und Erdgasförderung in Bolivien für sie nicht mehr rentabel wäre, wenn sie höhere Abgaben leisten müssten.

Damit steht Präsident Mesa zwischen den Demonstranten und den Konzernen. Die Konzerne braucht er für Investitionen. Die sozialen Bewegungen hingegen haben bereits seinen Vorgänger Sánchez de Losada aus dem Amt gejagt. Also versuchte Mesa den politischen Spagat: „Nach meinem Gewissen, nach den Prinzipien, an die ich glaube, gab es keine Möglichkeit, dass ich dieses Gesetz unterzeichne.“ Aber: „Zum Wohle des Landes und um dieses Kapitel ein für allemal zu schließen, beschloss ich auch, nicht dagegen vorzugehen“, sagte er im Fernsehen.

Der Anführer der „Bewegung für den Sozialismus“, Evo Moráles, kündigte an, „die Demonstrationen werden weitergehen“, und forderte Veränderungen an dem Gesetz. So gibt es in dem Gesetz keine Möglichkeit, die Öl- und Gasförderung zu verstaatlichen, was viele Demonstranten fordern. Auch bleibt Morales bei seiner Haltung, die Konzerne sollten gleich 50 Prozent Royalties zahlen und nicht die Möglichkeit bekommen, einen Teil davon als Steuern zu bezahlen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts versuchen lateinamerikanische Staaten immer wieder, Royalties in Höhe von 50 Prozent für die Ausbeutung ihrer Bodenschätze einzufordern.

Für diese Art des Profit Sharing gibt es verschiedene Modelle, die meist auf einen Mix aus Abgaben und Steuern zurückgreifen. Steuern in Höhe von 32 Prozent hält Patricia Vásquez von dem Think Tank „Energy Intelligence“ in Washington für „nicht unakzeptabel“, auch wenn es die Firmen in ihren Profiten beeinträchtigt. Bolivien verfügt über die größten Erdgasreserven in Lateinamerika. INGO MALCHER