Der Mann, der sich von der SPD lossagte

Nach 60 Jahren SPD-Mitgliedschaft wechselte Peter von Oertzen zur Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit

„Er hat die Geschichte der SPD mitgeschrieben“, lobte SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter noch vor einem halben Jahr den „Querdenker, Vordenker und vor allem Vorausdenker“ Peter von Oertzen, als er ihm in der Parteizeitung Vorwärts zum 80. Geburtstag gratulierte. Nun hat von Oertzen nach beinahe 60 Jahren Parteimitgliedschaft seinen Austritt aus der SPD erklärt und ist in die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit übergetreten. „Ich bin und bleibe Sozialist“, sagte er gestern gegenüber der taz. Deswegen sei er in der SPD nicht länger „am rechten linken Platz“.

Peter von Oertzen wurde am 2. September 1924 in Berlin in eine Adels- und Offiziersfamilie hineingeboren. Unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse trat er 1946 der SPD bei. Schon beim berühmten Godesberger Parteitag der SPD im Jahr 1959 gehörte er zu den 16 Abweichlern, die mit einem eigenen Entwurf gegen das neue Programm stimmten, mit dem die Partei dem Antikapitalismus endgültig abschwor. Im Jahr 1963 wurde der Politologe Professor an der Universität Hannover, die damals noch Technische Hochschule hieß.

Wie die Auswahl seiner politischen Schriften belegt, die unter dem Titel „Demokratie und Sozialismus zwischen Politik und Wissenschaft“ zum Achtzigsten bei Offizin in Hannover erschienen sind, blieb sich von Oertzen zeitlebens als Marxist treu. Das hindert ihn aber nicht, Parteikarriere zu machen. So gehörte er von 1973 bis 1993 dem SPD-Parteivorstand an, leitete dort zunächst die Programmkommission, gründete das SPD-Wissenschaftsforum und baute die Parteischule wieder auf. In Niedersachsen war der prominente Parteilinke von 1970 bis 1974 Kultusminister und von 1970 bis 1983 zugleich Vorsitzender des seinerzeit noch mitgliederstarken SPD-Bezirks Hannover – ein Amt, in dem ihm dann der heutige Bundeskanzler nachfolgte.

Über Gerhard Schröder hat sich Oertzen nach eigenen Angaben nie Illusionen gemacht. „Ich habe bei ihm nie etwas anderes erwartet, als dabei herausgekommen ist.“ Schröder habe stets gesagt, dass Politik gegen die Wirtschaft mit ihm nicht zu machen sei. Er habe den späteren Bundeskanzler Anfang der 80er-Jahre nicht gefördert, sei ihm aber „auch nicht in den Weg getreten“.

Dennoch war es nun die bedingungslose Ausrichtung der SPD an Unternehmerinteressen, die letztlich den Anstoß für den Austritt gegeben hat. „Um eine öffentliche Treueerklärung für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände abzugeben, bin ich 1946 nicht in die SPD eingetreten“, sagte der 80-Jährige. Im Augenblick gebe es keine Partei, „die mehr die Auffassung des großen Kapitals vertritt als die SPD“. Der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit fühlt er sich nahe, weil viele Gewerkschafter zu den Gründern der neuen Linkspartei gehören. Vor eigenem öffentlichem Engagement will er jedoch zunächst die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen abwarten.

JÜRGEN VOGES