Unbeugsamer Dissident

Er ist zum Symbol der Zivilcourage und des friedlichen Kampfs für mehr politische Freiheit geworden. Jetzt soll Liu Xiaobo, einer der prominentesten Dissidenten Chinas, erneut vor Gericht gestellt werden: wegen „Anstachelung zur Untergrabung der Staatsgewalt“. Dafür drohen ihm fünf bis fünfzehn Jahre Haft.

Seine Ehefrau Liu Xia erhielt gestern Besuch von Polizisten, die ihr die Nachricht über die offizielle Verhaftung ihres Mannes überbrachten. Bereits vor gut einem halben Jahr, am 8. Dezember, war er aus ihrer Pekinger Wohnung verschleppt worden. Seither wurde er am Stadtrand von Peking in einem Raum ohne Fenster festgehalten. Eine Anklage gab es nicht, ein Anwalt durfte nicht zu ihm. Seine Frau, eine Künstlerin, durfte ihn nur im Januar und im März jeweils einmal in einem Restaurant treffen. Die Polizisten saßen mit am Tisch. Frau Liu wird selbst ständig vom Geheimdienst beschattet.

Der 53-jährige Liu gehört zu den Verfassern der Charta 08 vom vergangenen Dezember. In dem Dokument fordern rund 300 chinesische Intellektuelle eine öffentliche Debatte über die politische Zukunft Chinas. Sie verlangen zudem eine unabhängige Justiz, Presse- und Meinungsfreiheit.

Der ehemalige Philosophiedozent Liu gehört zu jener Generation von Intellektuellen, die während der Studentendemonstrationen von 1989 aktiv waren und mehrere Jahre im Gefängnis oder in Arbeitslagern inhaftiert wurden. Liu darf in seiner Heimat keine Bücher oder Zeitungsartikel veröffentlichen. Im März erhielt er den Prager Menschenrechtspreis „Homo Homini“.

Hoffnung auf Unterstützung durch den chinesischen Schriftstellerverband kann sich Liu, Präsident des unabhängigen PEN-Klubs, nicht machen: Die Organisation, die staatlich kontrolliert ist, erkennt den PEN-Klub nicht an. JUTTA LIETSCH