Der Öldieb

Ken Saro-Wiwa kämpfte mit passivem Widerstand. Asari kämpft mit Sabotage und Entführungen

AUS DEM NIGER-DELTA HAKEEM JIMO

Zur Begrüßung zünden die Ijaw-Kämpfer eine Dynamitstange. Ein Zucken geht durch die Mangroven. Auf der Anhöhe steht das Dschungel-Camp. Eine Insel aus Sand inmitten des Schlicks. Nur die Mangrovenpflanze bringt Grün in den braunschwarzen Sumpf. Bei einer der Mangrovenarten umranden kleine Widerhaken ihre langen, schmalen Blätter, die Wunden in die Haut reißen können. Die Kämpfer vom Ijaw-Volk kennen die Gefahren des Mangrovensumpfes, sie finden mit Kanus und Schnellbooten durch das Labyrinth des Niger-Deltas.

Drei Waldriesen wirken wie das Eingangstor zum Lager. Die schweren Bäume können an dieser Stelle wachsen, weil der Boden fest ist. Bewaffnete junge Kämpfer stehen in Gruppen auf dem Weg zu den Häusern. Ein kräftiger Mann schreitet den Buschpfad entlang: Mujahid Asari, er kommt gerade vom Mittagsgebet. Kleine Augen blicken durchdringend aus seinem fülligem Gesicht. Er trägt keine Uniform, nur Shorts und Plastiksandalen.

Sofort huschen die Jungen zur Seite. Der 40 Jahre alte Asari besitzt die Autorität eines strengen Vaters. Ständig gängelt er seine Kämpfer, warum hier nicht gefegt wurde, warum es dort so unordentlich aussieht. Sie warten nicht wie trotzige Söhne auf den Moment, gegen den Vater zu rebellieren. Er ist ihr Chef.

Asari führt die Ijaw-Armee. Die Ijaws sind die viertgrößte Volksgruppe Nigerias, des mit 130 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Landes Afrikas. Aber wie auf dem Siegertreppchen beim Sport zählt auch der vierte Platz im Machtspiel des nigerianischen Vielvölkerstaats nicht viel. Ihre Interessen galten als zweitrangig, der Reichtum des Landes, das Erdöl, wurde unter ihren Füßen weggepumpt. Außer Umweltverschmutzung und dem täglichen Anblick Fremder mit gut bezahlten Jobs blieb ihnen nicht viel. Der Wunsch bei vielen Ijaws nach einem anderen Gesellschaftsmodell wurde stärker: als letzte Konsequenz vielleicht auch Abspaltung von Nigeria. Asari hat sie vereint, er hat Gewalt für ihre Sache angewendet und mit noch mehr Gewalt gedroht. So hat er Nigerias Zentralregierung zu Friedensgesprächen gezwungen. Und so ist er für die einen zum modernen Robin Hood geworden, für die anderen zum mächtigen Öldieb. Er sagt: „Die Pipelines stehen auf unserem Land. Das Öl liegt in unserer Erde.“

Er scheucht seine Leute ein wenig herum, weil sie seiner Meinung nach faul herumliegen. Es sind alles Männer. Frauen sind in diesem Camp nicht zu sehen. Rauchschwaden von Marihuana ziehen über das Gelände. Einige der Kämpfer spielen Karten. Andere liegen einfach im Sand oder im Gras, putzen ihre Waffen oder starren vor sich her. Viele von ihnen leisten einen Freiwilligendienst ab. Sozusagen ein freiwilliges Jahr für die Sache des Ijaw-Volkes: Selbstbestimmung für das zahlenmäßig größte Volk des Niger-Deltas. Der Mindestaufenthalt beim Freiwilligendienst beträgt ein paar Monate. Aber einige sehen so aus, als ob sie nirgends mehr hin zurückkehren wollen. Sie haben sich ein Leben abseits des Staatsgebildes und der Gesellschaft von Nigeria geschaffen. 120.000, sagt Asari, seien rekrutiert worden.

Erst vor einem Jahr ging Asari in die Mangrovensümpfe und formierte seine Armee. Aber schon ein Jahr später kam er als gemachter Mann aus den Sümpfen zurück. Seine Drohung, einen totalen Krieg gegen Ölmultis und ihre Verbündeten zu führen, hat in der Hauptstadt Abuja so viel Eindruck hinterlassen, dass man ihn zu Friedensgesprächen einlud. Die erwiesen sich als sehr lukrativ: Asari gilt jetzt als Multimillionär. Zu seinem Leben in den Sümpfen ist noch ein Leben in den Villen gekommen. In diesem Leben fährt er mit Lincoln-Navigator-Karossen durch Port Harcourt, die größte Stadt des Deltas. Das Geld fließt offiziell in Form eines Entwaffnungsprogramms. Der Staat zahlt viel für den Erwerb der Waffen – von mehreren tausend Euro für einfache Maschinengewehre ist die Rede. Gerüchte machen die Runde, dass Leute sich billige Waffen aus anderen Ländern besorgen, um sie dann teuer dem nigerianischen Staat zu verkaufen.

Asari sieht sich in der Tradition der Suche nach Selbstbestimmung des Ijaw-Volks. Es war Isaac Adaka Boro, der 1966 die „Niger Delta Peoples Republic“ ausrief. Die Ijaw-Nation hatte für 13 Tage bestand, sagt Asari. Kurz bevor die Igbos im Osten des Landes ihren Biafra-Staat ausriefen und wenig später der Bürgerkrieg begann. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung der Ijaws wurde Isaac Adaka Boro gefangen genommen. Mujahid Asari wurde in diesen Jahren geboren. Während er Jura studierte, konvertierte er zum Islam. Asari heißt mit bürgerlichen Namen Dokubo Melford Goodhead Junior. Er ist das erste von sechs Kindern einer christlichen Mittelklasse-Familie. Er ist mit zwei Frauen verheiratet und hat sechs Kinder.

Dass er nach seinen Abmachungen mit der Zentralregierung als Wendehals dastehen könnte, braucht Dokubo-Asari nicht zu befürchten. Scheinbar sich widersprechende, wechselnde Allianzen gehören zum politischen Geschäft in Nigeria. In der Tat haben seine Anhänger ihm die plötzliche Nähe zu den Mächtigen Nigerias bislang nicht besonders übel genommen. Noch immer gilt er als der Anführer und Kopf der Ijaw-Befreiungsbewegung. Nur dass er sich jetzt ganz unbehelligt zwischen Mangrovensumpf und Stadt frei bewegen kann. Nach wie vor beharrt er auf den alten Forderungen: vor allem einem gerechten Anteil am Erdölabbau für die dort lebenden Völker.

Ein alte Forderung Asaris war immer eine „souveräne Nationalkonferenz“, in der die Menschen des Vielvölkerstaats Nigeria über eine gemeinsame Zukunft sprechen. Seit dieser Woche tagt in der Hauptstadt Abuja eine Reformkonferenz über Nigerias Verfassung, einberufen vom Präsidenten. Asari und viele andere prominente Führer außerhalb des politischen Systems boykottieren das. Die Regierung, sagen sie, nimmt die Menschen nicht ernst – vor allem im Niger-Delta.

Es sind nicht ausschließlich Ijaws, die Asari folgen. Auch Leute benachbarter Volksgruppen mit ähnlichen Problemen leisten ihren Dienst. Sie wollen mehr lernen über den Weg, den diese Organisation eingeschlagen hat: die „Niger Delta People’s Volunteer Force“, NDPVF, die Freiwilligenarmee des Niger-Delta-Volkes.

Die neue Art des Widerstandes begründete Asari Ende der 90er-Jahre mit dem Ijaw Youth Council. 2001 wurde er Präsident dieser Organisation jugendlicher Ijaws, die für Autonomie und Beteiligung an den Öleinnahmen kämpft. Nicht friedlich und passiv gingen sie vor, wie es zehn Jahre vorher das Ogoni-Volk mit seinem berühmten Führer Ken Saro-Wiwa gegen die Militärdiktatur und den Erdölmulti Shell machte. Sondern mit radikalen Forderungen und Ultimaten. Und später auch mit Gewalt: Entführungen, Sabotage.

Asari kommt den Pfad entlang. Die Jungen huschen zur Seite. Er scheucht sie, gängelt sie

Irgendwie trifft das die Stimmung im Land. Kaum ein Nigerianer ist zufrieden damit, wie es im Land läuft. Überall in Nigeria schwelen Konflikte und lokale Machtkämpfe, die oft in blutige Gewalt ausarten. Den Unmut der Menschen so zum Ausdruck zu bringen, wie es Asari tut, stößt allerdings nicht nur auf Zustimmung. Im Niger-Delta hat er eine Mehrheit hinter sich. Aber in anderen Landesteilen gilt das nicht. Einen bewaffneten Aufstand halten politisch Interessierte Nigerianer für kontraproduktiv und verfrüht. Für viele im Land sind die alltäglichen Schwierigkeiten so überwältigend, dass sie sich um Ereignisse im Niger-Delta kein Kopfzerbrechen machen. Die Politik, egal von welcher Seite betrieben, sehen viele Nigerianer als schmutziges, von persönlichen Interessen geleitetes Geschäft. Da ist auch ein reich gewordener Rebellenführer nichts Besonderes.

Bis zum jüngsten Waffenstillstand hieß das militärische Ziel der Ijaw-Freiwilligenarmee: Vertreiben der nigerianischen Sicherheitskräfte und Soldaten und der gegnerischen Milizen. Insgesamt hat die Eskalation der Gewalt im Niger-Delta im vergangenen Jahr mehrere hundert Menschen das Leben gekostet. Sowohl auf Seiten der Milizen und Sicherheitskräfte als auch der Zivilisten. Aber es gehe nicht nur um die Kontrolle des Erdöls, sagt Mujahid Asari, sondern auch um kulturelle Autonomie.

Wahrscheinlich haben die Zentralregierung und der Gouverneur des Bundesstaates letztlich begriffen, dass es bei dieser Rebellion keine militärische Lösung geben konnte. Im Mangrovensumpf haben die unkundigen Soldaten aus anderen Teilen des Landes gegen Asaris Männer keine Chance. Zudem bedeutet ein Fortschreiten der Gewalt, dass noch mehr Sympathisanten zu den Milizen gehen. Bis auf vereinzelte Zwischenfälle fand die Region nach den Gesprächen tatsächlich wieder aus dem zuvor chaotischen Zustand heraus, der in Port Harcourt und Umgebung monatelang herrschte.

Obwohl die Waffen nun schweigen, sieht es noch nicht endgültig nach Frieden aus. Beobachter, wie der Chefredakteur der einzigen regionalen Tageszeitung des Niger-Deltas The Port Harcourt Daily Telegraph, Ogbonna Nwuke, sehen die gesteckten Ziele, vor allem der Regierung, nahe am Scheitern. Eine gerechtere Verteilung des Erdölgeldes finde weiter nicht statt, sagt Nwuke.

Asari kann das gelassener sehen. Er kann Teile der Erdölproduktion jederzeit beschlagnahmen und Personal kidnappen. Schon jetzt bedienen sich seine Ijaw-Kämpfer wie selbstverständlich aus den Öl-Pipelines. „Wir holen uns das Öl und geben es den Menschen“, sagt Asari. „Wir haben unsere eigenen, provisorischen Raffinerien. Benzin kostet im Niger-Delta das Vierfache des offiziellen Preises. Wir geben es den Leuten für ein Drittel. Denn es gehört ja sowieso den Menschen hier.“