Mali – die Wiege des Blues

Das Ethno-Musikfestival in Essakane zieht sowohl einheimische Tuareg als auch Europäer an

„Ich war einmal in Europa zu einem Klassikkonzert eingeladen“, erinnert sich der Mann im rosa Boubou und mit der weißen Kopfbedeckung, „106 Musiker spielten Mozart.“ Er schaut hoch. „Was für ein Affentheater“, sagt er. Seine schwarzen Hände greifen nach einer Streichholzschachtel. Er klemmt ein einzelnes Streichholz zwischen Schachtel und Deckel, so dass es herausragt. Dann fährt er rhythmisch mit den Kuppen seiner Finger über das Streichholz. Tak, tak , tak, zrrrrrp, tak, tak, macht es. Ein kleiner Trommelwirbel. „Das ist Musik“, betont der Mann voller Inbrunst.

Ali Farka Touré ist eine lebende Legende. Keiner hat den Blues so rau und zugleich sanft wie er interpretiert, gesättigt vom Gedächtnis der westafrikanischen Savanne. Seine CD mit Ry Cooder, dem amerikanischen Meister der Gitarre, hat ihn weltweit bekannt gemacht. Jetzt ist es Zeit, sesshaft zu werden, meint er. Er lebt inzwischen als Reisbauer in seiner Heimatstadt Niafounké, am Ufer des Niger. Irgendwo zwischen Bamako und Timbuktu. Kritiker behaupten, hier liege die Wiege des Blues. Ali Farka Touré ist auch Bürgermeister von Niafounké und kümmert sich um Wasserversorgung und Straßenbau. Mitunter empfängt er in seinem Campement, der einzigen größeren Herberge im Ort, Touristengruppen zum Gespräch.

Die Gruppe, die in Niafounké Station macht, ist auf dem Weg nach Essakane, zwei Autostunden nördlich. Hier geht das spärliche Grün in dornigen Akazienwuchs über, die Sahelzone mündet in die Sahara. Ausgerechnet hier hat sich das Festival von Essakane eingerichtet, auf den ersten Blick eine Ansammlung weißer Dünen. Einmal im Jahr treffen sich hier mehrere Tausend Afrikaner, Europäer und Enthusiasten der Ethnomusik. Tuareg mit Kamelen sind bereits da, wenn die Reisenden per Vierradantrieb anrollen. Kein Wagen der nicht im Wüstensand stecken bleibt, Lastwagen schaffen mit heulenden Motoren Boxen und Verstärker herbei, Toilettenhäuser werden über Nacht aufgebaut.

Ursprünglich ist Essakane ein rituelles Fest: „Bei uns gibt es die Takoubelts, traditionelle Treffen, zu denen alle Tuareg große Entfernungen zurücklegen. „Man trifft sich, um zu handeln, Streitfragen zu klären, Hochzeiten vorzubereiten“, sagt der Direktor des Festivals, den alle nur „Many“ rufen.

Die Kamelrennen und traditionellen Tänze der Tuareg, begleitet von trällernden Schreien ihrer Frauen, ziehen tagsüber das Publikum an. Nach Sonnenuntergang verlagert sich das Interesse auf eine kleine Konzertbühne inmitten der weißen Dünen. Lagerfeuer lodern unter dem Sternenhimmel. Hier spielte schon Robert Plant, Ex-Leadsänger von Led Zeppelin. Manu Chao folgte im letzten Jahr. In diesem Jahr ist der Auftritt von Habib Koité ein Höhepunkt. Der stämmige Malier hat gerade erst die Bühne verlassen, als er sagt: „Ich bin empört über die amerikanische Politik, die unsere Bauern ins Elend führt.“

Das Problem bringt die Baumwolle, die neben Gold einer der beiden Exportschlager Malis ist. Was Habib Koité hierbei aufregt: Seit kurzem hat die US-Regierung die Subventionen für die einheimischen Baumwollfarmer erhöht. Das Kilo Baumwolle aus Mali ist jetzt auf dem Weltmarkt nur noch 160 Francs-CFA wert statt 210 Francs-CFA zuvor. Wenn der Export leidet, droht massive Arbeitslosigkeit. „Ich würde mir wünschen, dass man uns die gleiche Hilfe entgegenbringt wie den Erdbebenopfern in Indonesien“, sagt Koité.

Seit Jahren gilt das Land als eine der wenigen Vorzeigedemokratien in Afrika, aber arm bleibt es trotzdem. Wer nach Bamako oder Timbuktu fährt, wird von dutzenden Schildern internationaler Hilfsorganisationen begrüßt. Am geringen Einkommen der Malier hat das wenig geändert. Der Reichtum Malis zeigt sich in der kulturellen Vielfalt: Mit jedem Reisetag begegnet man hier neuen Sprachen und Landschaften. MARTIN GERNER

Essakane: dreitägiges Musikfestival jedes Jahr im Januar mit Musikern aus Mali, Westafrika, Europa und Amerika. Buchungen über die einschlägigen Reiseveranstalter in Deutschland oder Mali oder auf der Website des Festivals: festival-au-desert.org