Bursche aus dem Pitztal

Der Österreicher Benjamin Raich gewinnt den Slalom, und außer Janica Kostelic war niemand erfolgreicher bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften. Dennoch redet alles von Maier und Miller

AUS BORMIOELISABETH SCHLAMMERL

Am Ende war doch wieder alles so, wie es fast immer ist bei alpinen Weltmeisterschaften. Die Österreicher sind die Besten, sie feiern sich und ihre Ski-Helden im Überschwang der Gefühle und verlieren dabei schon mal den Bezug zur Realität. Benjamin Raich wurde nach seinem Sieg im Slalom, dem letzten Einzelwettbewerb von Bormio, vor dem Teamkollegen Rainer Schönfelder und Giorgio Rocca kurzerhand zum großen Superstar der Titelkämpfe befördert.

Sportlich wäre das tatsächlich angemessen, weil der 26-Jährige bei seinen vier Starts vier Medaillen gewonnen hat, zweimal davon eine goldene. Aber manchmal sind es eben neben Erfolgen auch andere Dinge, die einen Skirennläufer zu einem Heroen werden lassen. Obwohl es schon vor dem Slalom die WM des Benjamin Raich war, redeten fast alle nur von Hermann Maier und Bode Miller. Dabei war der eine, Maier, am vorletzten WM-Tag schon gar nicht mehr in Bormio, und der andere, Miller, schied mal wieder aus. Drei von fünf Wettbewerben hat der Amerikaner nicht beendet, weil er aber die anderen beiden Rennen gewonnen hat, verlässt er das Veltlin unbesiegt.

Raich taugt nicht so recht zum Superstar, weil ihm dazu das Egozentrische eines Maier, das Spektakuläre eines Miller fehlt. Raich ist der nette Bursche aus dem Pitztal, der Mamas Küche genießt, seine Liebe zu Slalomfahrerin Marlies Schild nicht offen zur Schau stellen mag und akzeptiert, dass andere mehr Aufmerksamkeit genießen. „Ich bin kein Mensch, der sich in den Mittelpunkt drängt“, sagt er.

Dass Raich einmal ein ganz Großer der Branche werden könnte, kündigte sich schon früh an. 1999 feierte er im Alter von 20 Jahren in seiner ersten Weltcup-Saison drei Siege, er galt als prädestiniert, einmal die Nachfolge von Hermann Maier anzutreten, weil er mit ausgereifter Technik, mentaler Stärke, Konsequenz in Slalom und Riesenslalom bestach. Aber wie so oft kamen nach dem steilen Aufstieg noch ein paar Lehrjahre. Raich war zwar oft sehr schnell, aber schied noch öfter aus, zwei Jahre lang gewann er kein Rennen mehr. „Bei ihm ist die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn am verschwommensten“, hat der österreichische Techniktrainer Gert Ehn einmal festgestellt.

Auch bei Großereignissen war Raich bis Bormio nie der große Wurf gelungen. In St. Anton 2001 reichte es nur zu Silber im Slalom, bei den Olympischen Spielen 2002 zu zweimal Bronze, und in St. Moritz ging er gar leer aus. Vor knapp zwei Jahren wechselte er in die Trainingsgruppe der Vielfahrer und potenziellen Gesamtweltcup-Sieger, der auch Hermann Maier angehört. „Er kann mit dem Ski einfach alles, er ist sicher eines der größten Talente, die ich je gesehen habe“, sagt Trainer Andi Ewers, der immerhin auch Maier betreut.

In der vergangenen Saison startete Raich zum ersten Mal in allen vier Disziplinen und schlug sich gar nicht schlecht in Abfahrt und Super-G. Er wurde Dritter im Gesamtweltcup, hinter Maier und Eberharter. In diesem Jahr ist er schon bester Österreicher, aber immer noch nicht der Beste im Gesamtklassement, da ist Bode Miller noch vor ihm, allerdings ist der Rückstand in den Wochen vor der WM immer kleiner geworden.

In Bormio hat Raich den Amerikaner schon einmal überholt. „Das ist schon Wahnsinn. Bisher habe ich bei vier Weltmeisterschaften nur eine einzige Medaille gemacht und jetzt bei einer WM gleich vier Medaillen.“ Obwohl er Österreich wieder zur Skination Nummer eins in Bormio gemacht hat, wird er in seiner Heimat aber nicht so verehrt werden wie Hermann Maier. „Er hat viel geleistet und ist Olympiasieger, das ist halt was“, sagt Raich. „Ich habe damit kein Problem, aber es stimmt schon: Österreich besteht nicht nur aus Hermann Maier.“