Letzter Ausweg Straßenstrich

Immer mehr Frauen im Ruhrgebiet prostituieren sich. Das drückt die Straßenpreise und verschlechtert die Arbeitsbedingungen. Hilfsorganisationen sprechen von einer „neuen Armutsfalle“

von MIRIAM BUNJES

Manchmal stehen sie 14 Stunden hinter den Dortmunder Baumärkten und kein Auto hält an. Die Konkurrenz ist groß geworden auf dem Dortmunder Straßenstrich: Vor zwei Jahren warteten hier rund 160 Frauen auf Kundschaft, heute hat sich diese Zahl verdoppelt. Und es werden noch mehr, glaubt Brigitte Smolka-Zimpel von der Kommunikations- und Beratungsstelle für Prostituierte (KOBER). „Immer mehr Frauen über 40 stellen sich auf die Straße“, sagt Smolka-Zimpel. „Wegen der anhaltend schlechten Konjunktur haben sie die Hoffnung auf eine Arbeitsstelle aufgegeben und versuchen jetzt, durch Prostitution über die Runden zu kommen.“

Mit dem Ergebnis, dass die Preise für die Dienste der Sexarbeiterinnen immer niedriger werden. Für 30 Euro kriegt Mann auf dem Dortmunder Straßenstrich jetzt schon „alles“. „Vor zwei Jahren haben die Frauen für Geschlechtsverkehr mindestens zehn Euro mehr verlangt“, sagt Smolka-Zimpel. „Durch die steigende Konkurrenz fallen die Preise. Gleichzeitig steigt der Druck, sich von den Männern Sachen gefallen zu lassen, die vorher abgelehnt wurden.“

Auch Gisela Zohren von der Dortmunder Mitternachtsmission sieht einen neuen Trend zur Armutsprostitution. „Immer mehr Frauen bieten sich als Gelegenheitsprostituierte in Kneipen an“, sagt sie. „Es gibt für schlecht ausgebildete oder ältere Frauen in Dortmund und im Ruhrgebiet tatsächlich keine Arbeitsplätze. Und das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern.“ Der Dortmunder Straßenstrich ist der größte legale im Ruhrgebiet. Dementsprechend hoch ist die Fluktuation zwischen den Städten. „Hier arbeiten auch Frauen aus Gelsenkirchen, Duisburg oder Essen“, sagt Gisela Zohren.

Doch auch in den Nachbarstädten steigt die Zahl der Prostituierten. „Auf der Straße arbeiten doppelt so viele Frauen wie in den letzten zwei Jahren“, sagt Iris Sperg vom städtischen Gesundheitsamt. Die Sozialarbeiterin beobachtet, dass vor allem sehr junge Frauen versuchen, auf der Straße oder von der Privatwohnung aus schnelles Geld zu machen. „Wenn ich die Zeitungsannoncen abtelefoniere, stoße ich oft auf völlig unbedarfte Frauen, die das einfach mal ausprobieren wollen“, sagt Iris Sperg. „Über gesundheitliche Risiken und Gefahren haben sie sich nur selten Gedanken gemacht. In der derzeitigen Arbeitsmarktlage erscheint ihnen Prostitution als die naheliegendste Lösung.“

Konkurrenz kriegen die deutschen Prostituierten auch von Kolleginnen aus dem Ausland. „Durch die EU-Erweiterung kommen immer mehr Frauen aus Osteuropa in die Ruhrgebiets-Bordelle“, sagt Heiner Minzel von der Dortmunder Polizei. Auch sie würden in erster Linie durch bittere Armut auf die Straße gedrängt. „Wir haben aber keinen Überblick mehr über die Zahl der Prostituierten“, sagt der Kripobeamte. „Ein Großteil des Geschäfts läuft inzwischen übers Internet, die Angebote verändern sich laufend.“

Gisela Zohren fürchtet vor allem die steigende Brutalität der Freier. Die würden immer dreister, da sie die Frauen durch die Konkurrenzsituation unter Druck setzen können. „Uns werden in letzter Zeit häufiger Übergriffe zugetragen“, sagt die Sozialarbeiterin. „Dabei ist die Situation in Dortmund durch die außergewöhnlich gute Zusammenarbeit mit der Polizei für die Frauen relativ sicher.“ Ordnungs- , Ausländer- und neuerdings auch Finanzbehörden haben sich in Dortmund in Sachen Prostitution mit den sozialen Hilfsorganisationen vernetzt. „Mit dem Ergebnis, dass Frauen sich hier öfter trauen, Gewalt zur Anzeige zu bringen“, sagt Heiner Minzel. „Sie wissen, dass sie hier institutionellen Rückhalt haben.“ Vor den naturgegebenen Härten der Branche schützt jedoch auch das so genannte Dortmunder Modell nicht. „Frieren, warten und das hart verdiente Geld unter Umständen gleich dem Zuhälter abtreten – das ist für immer mehr Frauen Alltag“, sagt Streetworkerin Smolka-Zimpel.