Postkoloniale Hoffnung und bildliche Brechung

JUNGE KUNST Die Galerie Peter Herrmann zeigt „M“: raffinierte Videoinstallationen des kamerunischen Künstlers Goddy Leye

Leyes verwendet mediale Figuren Kameruns, die ihre Struktur durch westliche Medien verändert haben

VON LYDIA HAUSTEIN

„Ob traditionell oder zeitgenössisch, Vorurteile gibt es überall“, sagt der Kameruner Videokünstler Goddy Leye. Er debattiert mit Künstlern und Intellektuellen aus verschiedenen afrikanischen Ländern über das kollektive Bildgedächtnis der Welt und hat sich mit anderen zu einer Künstlergruppe zusammengeschlossen.

Goddy Leyes aktuelle Installation „The Beautiful Beast“ in der Galerie Peter Hermann bezieht sich auf Fritz Langs berühmten Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931. Goddy Leye zollt dem Filmpionier besonderen Respekt, da Lang nicht nur als Erster seiner Zeit mit dem Tonfilm entscheidend die Massenmedien erweiterte, sondern darin auch das für Afrika zentrale Thema Individuum und Masse aufgegriffen hat.

Mit präzise gesetzten Schatten, Lichtreflexen oder starken Hell-Dunkel-Kontrasten projiziert der afrikanische Künstler seine Bilder auf ein ungewöhnliches Material – Sesamkörner, die wie Pixel einer Bildschirmoberfläche wirken. Zum Soundtrack einer schreienden Menge sieht man den Künstler nackt eine Art modernen Tanz aufführen, ohne plakativ Fritz Langs Kritik der Massenmedien wörtlich zu nehmen.

Die zweite Installation, „Papa Forest“, bildet ein weißer Sockel mit zwei Gucklöchern. Durch einen im Sockel waagrecht angebrachten Monitor wird ein Still einer Industriebrache gezeigt. Auf dem Bildschirm steht eine traditionelle Skulptur aus Kamerun, die sich, durch den Film beleuchtet, in rundum verspiegelter Fläche unendlich bricht.

Goddy Leyes Spiel zwischen Vorzeigen und Verstecken bindet mediale Figuren und Bilder seiner Heimat ein, die ihre interne Struktur durch den Einfluss der Massenmedien unwiederbringlich verändert haben. Seine Installation untersucht Film als Medium sowie die spezifische Anonymität, die durch fernsehgerechte Brechungen eines Motivs entsteht. So bildet nicht die Übersetzung einer historischen Filmikone das Zentrum der Installation, sondern eher die Bildanordnung in einem verfremdeten Kunstkontext der jeweils anderen Kultur.

Goddy Leye und seine Kollegen organisieren in Kamerun ein selbstbestimmtes Netzwerk, um über das Internet der Vorstellung von „afrikanischer Kunst“ im Westen entgegenzutreten: „Es ist eine hoffnungsvolle Initiative“, sagt Goddy Leye zu seinem 2003 nahe der Stadt Douala gegründeten Künstlerzentrum mit den schönen Namen „ArtBakery“.

Ihr programmatischer Name erinnert an Andy Warhols Factory. Im Unterschied zu dessen Klischeevervielfältigung per Siebdruck wird in der „ArtBakery“ das vorgefundene Bildmaterial zum thematisch eingesetzten Stilmittel – also deutbar jenseits der tatsächlichen Motive. Über Bildtitel etwa werden Signale gesetzt, die politische Anklagen üben und Zukunft neu denken.

Die Gruppe unterstützt außerdem junge Künstler, da die Kameruner Politik untätig bleibt. Immer noch verlassen zahlreiche afrikanische Künstler ihre Heimat und gehen ins Exil. Diesen anhaltenden Braindrain zu stoppen ist Ziel der„ArtBakery“. Da Museen in Kamerun fast vollständig fehlen, gibt es auch keine museale Praxis. So organisiert die Gruppe Ausstellungen und weist stolz auf ihre multimedialen Experimente und spezifische Analysen afrikanischer Medienwelten hin.

Sie untersucht etwa die Alltags-oder Reklamebilder, die entlang den großen Straßen in Afrika präsent sind. Als zeitgenössische Zeugnisse des kulturellen Archivs einer afrikanischen Moderne bilden sie einen kulturellen Zwischenraum, der sich heute aus den globalen Bilderströmen der Massenmedien nährt. In diesem Strom der Bilder von Stars, Politikern und Marken gleiten Ikonen aus Senegal, Ghana oder Côte d’Ivoire. Die Auseinandersetzung der Videokunst mit solchen Sujets ist für Kameruner Künstler eine Herausforderung. Schon in der Video-Arbeit „The B-Wall“ (1998) differenziert Goddy Leye die bildgeprägte westliche Kunst- und Kolonialgeschichte. Seine nach dem Fall der Berliner Mauer realisierte Installation zeigt ein mit Stacheldraht umwickeltes Fernsehgerät, das den weltberühmten Berliner Mauerspringer von 1961 in einer Endlosschleife projiziert.

Die Präsentation der Ikone des Kalten Krieges verbindet Leye mit der Frage der historischen Verschiebung von Bedeutung: „Die Verfremdung, die ich vorgenommen habe, ist ja der doppelte Stacheldraht, jener, der auf dem Monitor zu sehen und in unseren Köpfen mit einem bestimmten historischen Ereignis verbunden ist, und jener, mit dem der Fernseher eingewickelt ist. Jetzt, wo der Stacheldraht auf dem Bild nicht mehr existiert, wird er für uns umso stärker erfahrbar.“

Immer wieder sucht der Künstler westliche Historienbilder und fragt nach ihrer Bedeutung nach der Übersetzung in afrikanische Kulturen. Inspiriert durch den Kameruner Bildhauer und Kunsthistoriker Pascal Kenfack hält der Künstler den zutiefst gespaltenen Gesellschaften des Kontinents einen Spiegel vor und erzählt von der schwierigen Suche nach Identität.

Die „ArtBakery“ strebt neben der politischen Aufklärung der eigenen Gesellschaft eine visuelle Gegengeschichte des Kosmopolitismus an, der allein die festgefahrenen postkolonialen Käfige in die Zukunft öffnet. Nach einer Phase projektiver Ethnologie sei überfällig, die Geschichte hinter dem Postkolonialismus wieder zu entdecken, so der Künstler, als er für das 2002 entstandene Video „The Voice on The Moon“ die Flagge des „United Chiefdom of Africa“, einer imaginären Vereinigung, hisst und Kritik an den Verhältnissen in Kamerun übt. Er lehnt Entwicklungshilfe ab, die nur den Eliten dient und zukunftsgewandte Ideen der Intellektuellen unterdrückt.

■ Goddy Leye, „M“, Galerie Peter Herrmann, bis 20. Juni