Die neue Großzügigkeit

Entwicklungspolitiker freut die 500-Millionen-Euro-Zusage des Kanzlers. Die Dritte-Welt-Politik war ihm bisher nicht so viel wert

von ASTRID GEISLER
UND ULRIKE WINKELMANN

Angesichts der Größe der Katastrophe im indischen Ozean verbat sich der Kanzler jede interessierte Nachfrage. So blieb gestern ungeklärt, wie die Bundesregierung die 500 Millionen Euro aufbringen wird, die sie in den kommenden drei bis fünf Jahren für den Wiederaufbau in Südostasien zur Verfügung stellen will. Diese Frage „muss man nicht unbedingt heute erörtern“, sagte Gerhard Schröder nach einer Kabinettssitzung in Berlin. Doch die Öffentlichkeit dürfe sich „absolut sicher sein, dass die Mittel gegenfinanziert werden“.

Die 500 Millionen seien als „Finanzrahmen“ eine „gegriffene Summe“. Diese habe „mit der angenommenen Notwendigkeit zu tun“ – nicht mit konkretem Kalkül, was genau wo genau damit finanziert werden müsse. Auch eine Erhöhung sei noch denkbar: „Das wird man sehen“, erklärte Schröder, „das ist auch abhängig davon, was andere machen.“ Ob die Kosten für ein mögliches Schuldenmoratorium etwa für Indonesien und Sri Lanka Teil der 500 Millionen sein werden, bleibe den Beratungen der Gläubigerländer des „Pariser Clubs“ am 12. Januar überlassen. Jedenfalls aber handle es sich bei den 500 Millionen „nicht um Kredite“, sagte Schröder: „Das ist Geld.“

Die Bundesregierung, so wollten es Schröder und neben ihm der Außenminister Joschka Fischer verstanden wissen, will mit dieser staatlichen Hilfssumme für die Flutgebiete der überwältigenden Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung entsprechen. In den ersten Tagen nach der Flutwelle im Indischen Ozean hatte die Bundesregierung noch eher magere 20 Millionen Euro zugesagt. Dies stellten Schröder und Fischer nun als bloße Soforthilfe dar, im Übrigen, deuteten sie an, haben „wir alle die Größenordnung der Katastrophe erst nicht begriffen“.

Angesichts der dramatischen Lage im Katastrophengebiet wollte selbst CDU-Chefin Angela Merkel gestern Schröders Hilfspolitik nicht kritisieren – im Gegensatz zu einigen Entwicklungshilfepolitikern aus dem Bundestag. Die Fachleute freuten sich, fragten sich aber auch, was die großzügigen Versprechen der Bundesregierung konkret bedeuten. „Der Kanzler hat dazu nix gesagt“, empörte sich der entwicklungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christoph Ruck. Zwar wolle er der Regierung keine PR-Interessen unterstellen, die Opposition erwarte aber konkrete Antworten in den nächsten Tagen: „Nebulöse Ankündigungen reichen nicht.“

Selbst der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Thilo Hoppe, räumte am Nachmittag ein, er habe die Inhalte des Hilfskonzepts „noch nicht 100-prozentig erhellen können“. Seine Fraktion rechne aber fest damit, dass die Summe nicht durch die Plünderung anderer Entwicklungshilfeprojekte oder die Auflistung schon laufender Aktionen zusammenkomme: „Wenn das so wäre, würden wir uns dagegen wehren.“

Für Entwicklungspolitiker ist die neue Großzügigkeit der Regierung auch Anlass, an ein Thema zu erinnern, für das sie bisher wenig Begeisterung bei Schröder und seinen Finanzexperten wecken konnten: Noch immer ist Berlin Meilen von seiner internationalen Zusage entfernt, bis 2006 zumindest 0,33 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Entwicklungshilfe zu stecken. Wer das kritisierte, habe sich früher „häufig ein blaues Auge geholt“, bemerkte SPD-Entwicklungspolitiker Siegmund Ehrmann. Deshalb hat die jüngste Hilfszusage des Kabinetts bei aller Freude für den Sozialdemokraten zumindest „ein gewisses Geschmäckle“.

Beigeschmack oder nicht – man könnte die Regierungszusage trotz Schröders gegenteiliger Beteuerungen auch vor dem Hintergrund des Wunschs nach einer wichtigeren Rolle auf dem internationalen Parkett deuten. „Mit Sicherheit gibt es da auch einen Zusammenhang“, sagt selbst Grünen-Parlamentarier Hoppe. Er hofft, dass die Regierung auch bei ihrer Berechnung des nächsten regulären Entwicklungshilfe-Budgets die angepeilte 0,33-Prozent-Marke im Blick behält. Die versprochene Fluthilfe werde den Entwicklungshilfeanteil bestenfalls von aktuell 0,28 auf 0,31 Prozent anheben, schätzt er. Und das auch nur vorübergehend.