Zu arm für die Pille

VERHÜTUNG Weil angeblich immer mehr bedürftige Frauen abtreiben, fordern Regierung und FDP in Mecklenburg-Vorpommern die Gratis-Pille. Scheinheilig, findet die Linke

„Jede Abtreibung, die verhindert werden kann, ist ein Erfolg“

RALF GRABOW, FDP-FRAKTION

VON UTA GENSICHEN

Hartnäckig ist sie ja, die FDP-Fraktion im Schweriner Landtag. Obwohl unter den sieben Abgeordneten nur eine Frau zu finden ist, setzen sich deren männliche Kollegen seit Jahren für die Einführung der kostenlosen Pille ein. Bedürftige Frauen können sich das Verhütungsmittel nicht leisten, lautet die These der Liberalen, werden deshalb schwanger – und treiben öfter ab.

„Jeder Schwangerschaftsabbruch, der verhindert werden kann, ist ein Erfolg“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher Ralf Grabow. Und wenn es eben nicht anders gehe, müsse dieser Erfolg mit der Pille erreicht werden. Vor zwei Jahren noch wischte die rot-schwarze Landesregierung den Vorschlag der FDP vom Tisch, Hartz-IV-Klientinnen die Pille zu bezuschussen. Der Antrag kam nicht mal bis in den Gesundheitsausschuss.

Mittlerweile hat in den Reihen von SPD und CDU ein wundersamer Sinneswandel stattgefunden: Nun sorgen sich auch die Regierungsparteien um die angeblich steigende Zahl von Abtreibungen unter den „bedürftigen Frauen“. Prompt stellten sie Ende April zusammen mit der lange belächelten FDP den Antrag, Abbrüche zu verhindern: durch Verhütung. Nun soll in einem Modellprojekt im Bundesland schon mal vorab getestet werden, ob die Idee auch bundesweit durchführbar wäre.

Für den FDP-Abgeordneten Grabow eignet sich Mecklenburg-Vorpommern als Pillenproband schon deshalb gut, weil hier die Zahl der abtreibenden Frauen aus sozial schwachen Verhältnissen stetig steige. Schuld daran ist möglicherweise die Einführung der Hartz-IV-Regelungen im Jahr 2003: Waren vorher Studentinnen oder Sozialhilfeempfängerinnen von der Zuzahlung zur Pille befreit, muss nun jede Frau ab dem 20. Lebensjahr dazubezahlen.

Bedürftige Frau, zu arm für Verhütungsmittel, kann nicht anders als schwanger werden und muss deshalb abtreiben – ein Hartz-IV-Albtraummärchen, das die Schweriner Antragsteller da erzählen. Die Statistik allerdings spricht gegen die These von von FDP, CDU und SPD, dass man armen Frauen die Pille einfach hinterher werfen müsse, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern: Die bislang bekannte Höchstzahl von Schwangerschaftsabbrüchen bedürftiger Frauen im Land beträgt 3.617 und stammt aus dem Jahr 2001 – und da musste die nun ausgemachte Zielgruppe eben noch gar nicht zahlen für die Pille.

Trotz der Neuerungen im Zusammenhang mit Hartz IV sinkt seitdem die Zahl der Abtreibungen. Sie hat sich bei rund 3.200 (im Jahr 2006) eingepegelt. Anders als es die drei Fraktionssprecher verkünden, liegt der Nordosten damit nicht über dem bundesweiten Trend: Auch im Bund ist seit der Einführung von Hartz IV die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zurückgegangen – von rund 140.000 Fällen (1996) auf etwa 115.000 Abtreibungen im vergangenen Jahr.

Dass die Regierungsparteien in Schwerin nun den einst abgelehnten Antrag im Landtag unterstützen, nennt Irene Müller, Sozialsprecherin der Linkspartei, zynisch und scheinheilig. Ihre Partei unterstützt schon lange die Idee der kostenlosen Pille für sozial schwache Frauen. Dabei gehe es jedoch nicht darum, dem Land die Kosten von rund 400 Euro pro Abtreibung zu ersparen, sagt Müller. Vielmehr fordere die Linkspartei Gleichbehandlung: „Jede Frau, auch die Bedürftige, soll selbst entscheiden können, ob sie ein Kind will oder nicht.“ Und diese Entscheidung, so Müller, sei nur mit der Pille möglich.