„Wir wollen kein ideologisches Regime“

Afghanistans Ratsversammlung soll das Wort „islamisch“ aus dem Staatsnamen streichen, meint Muhammad Mehdi

taz: Warum sollte Ihrer Meinung nach Afghanistan künftig „Republik“ und nicht „Islamische Republik“ genannt werden?

Muhammad Rauf Mehdi: Weil wir eine wirklich demokratische Ordnung wollen, die auf den Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte beruht und in der die legitimen Freiheiten der afghanischen Bürger beachtet sind. Wir wollen auch ein nicht idelogisches Regime. Wir sehen das Prädikat „islamisch“ bei der Staatsbezeichnung als unnötig an. Es könnte der Regierung später bei der Umsetzung der Menschenrechte Probleme bereiten.

Sie befürchten, dass der Islam politisch instrumentalisiert werden könnte?

Ganz sicher wird das geschehen. Die Erfahrung der Vergangenheit hat ja gezeigt, wie islamische Gruppen unter dieser Losung eine Katastrophe über uns gebracht haben. Kabul ist damals während der Kämpfe zwischen diesen Gruppen zerstört worden.

Die behaupten aber, sie hätten das Land befreit …

Stimmt, sie haben 14 Jahre lang einen Dschihad geführt gegen die in unser Land eingedrungenen sowjetischen Truppen und sie wieder vertrieben. Aber was haben sie erreicht? Sie haben das Land zerstört und damit den Boden für ein noch schlimmeres Regime bereitet, nämlich die Taliban. Auch die Taliban haben das Wort „Islam“ benutzt, aber eine Ordnung errichtet, der grundsätzlich die Akzeptanz der Afghanen fehlte und auch derjenigen, die den Dschihad geführt haben.

Wollen Sie eine starke Präsidialrepublik, wie sie Präsident Hamid Karsai anstrebt, oder eine parlamentarische Staatsform?

Für ein parlamentarisches System fehlen politische Parteien. Die existierenden sind entweder religiös oder ethnisch und müssen, wenn die Verfassung in der vorliegenden Form angenommen wird, aufgelöst werden. Ein Präsidialsystem entspricht zur Zeit eher den Bedürfnissen unserer Gesellschaft, muss aber so konzipiert werden, dass eine Despotie verhindert wird.

Der Verfassungsentwurf sieht ja ein Parlament vor. Deckt das Ihren Vorschlag ab?

Im Parlament sitzen ja die Vertreter des Volkes und können von dort aus die Regierung beaufsichtigen. Deshalb ist ein Parlament wirklich nötig. In den USA und anderen westlichen Ländern gibt es freie Medien und eine Zivilgesellschaft, die die Regierung befragen. Aber leider ist die Zivilgesellschaft in Afghanistan erst im Entstehen, und die Presse ist auch nicht stark genug, um das Verhalten des Präsidenten zu beobachten.

Laut dem Bonner Afghanistan-Abkommen sollen im Juni 2004 zugleich Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Laut Verfassungsentwurf soll nun aber zuerst ein Präsident und dann innerhalb eines Jahres ein Parlament gewählt werden. Sind Sie damit einverstanden?

Es wäre am besten, wenn die beiden Wahlen gleichzeitig stattfinden. Aber die Regierung hat wohl Probleme, das umzusetzen. Wir brauchen aber so schnell wie möglich ein Parlament, um die drei Gewalten zu etablieren.

Die Vereinten Nationen machen die verschlechterte Sicherheitslage dafür verantwortlich, dass die Wahlen verschoben werden müssen …

So lange bewaffnete Gruppen existieren, werden sie Druck auf die Bevölkerung ausüben, damit diese die Vertreter der bewaffneten Gruppen ins Parlament schickt. Die Vereinten Nationen haben Recht, dass das Volk unter diesen Bedingungen nicht seine wirklichen Repräsentanten wählen kann. Wir brauchen jetzt Zeit, um eine Regierung zu bilden, die die Waffen einsammelt.

Sollte die jetzige Loja Dschirga, wie es einige Delegierte fordern, in ein Übergangsparlament umgewandelt werden?

Eigentlich ist die Loja Dschirga nur eine „Gründerversammlung“, die die Verfassung bestätigen soll. Ihre Abgeordneten besitzen nicht die nötige Autorität für ein Parlament. Dafür müssen noch einmal Wahlen stattfinden. Wenn erst ein Präsident gewählt ist, müssen wir ihm ein, zwei Jahre Zeit geben, die Bedingungen für freie Wahlen herzustellen. Ein Mechanismus dafür aber muss hier auf der Loja Dschirga festgelegt werden. Auf keinen Fall darf das Präsidentensystem in eine Diktatur oder die Herrschaft eines einzigen Mannes umschlagen. Interview: JAN HELLER