„80 Zeilen – aber als Weißraum“

Mit der Besetzung der taz wollen die Berliner Studierenden endlich mal ihre Inhalte richtig rüberbringen. Doch das ist schwieriger als gedacht. Am Ende steht, wie so oft, ein Kompromiss, der nicht alle glücklich macht

Der Tag danach. Zwei taz-Besetzer kommen wieder, in friedlicher Absicht. Die Soziologiestudenten Christian und Ralf wirken desillusioniert und müde vom Vortag. Ordentlich falten sie ihre Transparente zusammen: „Die taz ist besetzt“ und „Alles für Alle“ hat jetzt Rucksackformat. Obwohl sie sich das alles „anders“ vorgestellt hatten: „Ich hätte erwartet, dass Ihr positiver über uns berichtet“, sagt Christian. Dann müssen er und Ralf weiter, „zur VV“. Zur Vollversammlung.

Mit der taz-Besetzung am Montag wollten die Berliner Studierenden endlich mal ihre Inhalte richtig rüberbringen. Doch wenn emanzipatorisch gesonnene Fortschrittsfreunde aneinander rasseln, dürfen pädagogische Belehrung und Enttäuschung nicht fehlen. Als die Besetzertruppe den Haupteingang blockiert, kommt es zum Handgemenge mit taz-Geschäftsführer Andreas Bull. Der will sich sein Recht auf freie Passage nicht nehmen lassen: „Ihr habt euch den falschen Gegner ausgesucht. Und ihr habt das falsche Konzept. Die Presse zu erpressen kann nicht zu den von euch gewollten Zielen führen.“

Zwischen dieser Haltung und der Vorstellung der BesetzerInnen liegen Welten. Der Prozess des Ringens um einen unabhängigen Journalismus, der sich weder von Lobbygruppen noch von irgendwelchen Besetzern ins Handwerk reden lässt. taz-Chefredakteurin Bascha Mika sagt es sanfter: „Ihr seid Eindringlinge in diesem Haus. Wir sagen, ihr seid Gäste.“

Über diese feine Unterscheidung stellt sich jedoch bis zum Abschluss der Besetzung kein rechter Konsens ein. Denn die Studierenden haben ihre Texte schon mitgebracht und fordern in der Morgenkonferenz dafür ultimativ die Seite eins.

Doch die Chefredaktion, im internen Hickhack um knappe Seitenkapazität kampferprobt, zeigt sich hart: „Ihr seid hier heute Morgen nicht die top news. Seid doch froh, dass ihr nicht Saddam seid.“

Studenten: „Wir sind hier nicht die Bittsteller, sondern wir sagen, wie das läuft heute. Hatt’ ich so verstanden.“

Chefredaktion: „Ihr wollt was von uns und wir wollen nichts von euch. Bei Springer wärt ihr schon am Pförtner gescheitert.“

Studenten: „Wir sind jung und kreativ.“

Chefredaktion: „Im Prinzip seid ihr ja auch ganz nett.“

Kulturressortleiter Dirk Knipphals findet das weniger: „Mit welchem arroganten Anspruch kommt ihr hier an?“

Ein Vorwurf, der zurückkommt: „Ihr seid arrogant. Ich bin hier schon von zwanzig Leuten als Kindchen bezeichnet worden.“

Hier stoßen spontaner Aktionismus und professioneller Anspruch unversöhnlich zusammen. Denn von den mitgebrachten Texten zeigt sich der Kulturchef wenig begeistert: „Es ist nicht so, dass das supertolle Texte sind. Kapitalismus – ach herrje, und nun?“ Und Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur: „Da liegt die Zeitung wie Blei am Kiosk.“

Nach langen Diskussionen werden die Texte gemeinsam lektoriert und auf den ersten beiden Seiten von tazzwei abgedruckt. Doch von Seite eins wollen die Besetzer dennoch nicht lassen. Einen Leitartikel wollen sie. Bascha Mika schält sich eine Apfelsine: „Ich find das ehrlich ’n bisschen frech. Das ist unsere Zeitung.“ Die Chefredaktion bietet 80 Zeilen und eine Besetzungsbanderole.

Das Plenum berät. Die Chefredakteurin zieht sich erneut für zehn Minuten zurück. „Dann nehmen wir die 80 Zeilen – aber als Weißraum“, hallt es aus dem Plenum, „und schreiben rein: Zensur.“

Alles oder nichts, ist die Forderung für Seite eins. Es ist fast 16 Uhr. Die beiden Besetzerseiten in „tazzwei“ sind schon längst im Layout. Zensur, stellt Mika klar, gibt es bei der taz nicht, ansonsten geht der Deal mit dem Weißraum klar. Manche Besetzer beschweren sich später auf der Internet-Plattform „Indymedia“ über die Hardliner: Inhalt wäre besser gewesen.

In den Fluren herrscht mittlerweile Partylaune, die ersten Bierflaschen tauchen auf. taz-Redakteur Dietmar Bartz hat den ganzen Tag auf die Besetzer eingeredet, jetzt entdeckt er eine Wodkaflasche. Nach diskreter Intervention verschwindet erst die Flasche, wenig später auch ihre drei Konsumentinnen.

Redaktionsschluss. „Wir bleiben, bis wir eine gedruckte taz in den Händen halten. Damit ihr uns nicht linkt“, sagt ein Besetzer. „Glaubt ihr, dass wir euch linken? Dann seid ihr morgen wieder da“, sagt Bartz. Warten auf die Druckausgabe. Eine Besetzerin, die fest davon überzeugt ist, dass Solingen im Osten liegt, diskutiert mit ihm über Rechtsradikalismus.

Um neun kommt der taz-Fahrer von der Druckerei. Die tazler haben Hunger und sind müde. Und die BesetzerInnen gehen nach Haus. THILO SCHMIDT,

JAN-HENDRIK WULF