Karsai bringt Kandidaten durch

Die afghanische Verfassungsversammlung folgt mit der Wahl ihres Vorsitzenden und dessen Stellvertretern den Wünschen des Präsidenten. Der möchte noch mehr Macht

KABUL taz ■ Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat bei der am Sonntag in Kabul begonnenen Verfassungs-Loja-Dschirga (Große Ratsversammlung) erste Erfolge erzielt. Bei der Wahl zum Vorsitzenden der Versammlung, die ein neues Grundgesetz beschließen soll, setzte sich am späten Sonntagabend mit dem gemäßigt-konservativen Geistlichen Sebghatullah Mudschadedi der Kandidat Karsais durch. Gestern erfolgte auch die Wahl von dessen Stellvertretern gemäß den Wünschen des Präsidenten.

Karsai hatte in dem von einer Kommission ausgearbeiteten Verfassungsentwurf in letzter Minute die Rolle des Präsidenten gegenüber dem Parlament gestärkt und das Amt eines Premiers abgeschafft. Bei der Eröffnung betonte Karsai, dass das Land einen starken Präsidenten brauche, um nicht in Anarchie zu verfallen. Delegierte vor allem aus dem Umfeld der tadschikisch-dominierten früheren Nordallianz lehnen die von Karsai angestrebte Machtfülle ab. Einige forderten, 50 von Karsai direkt ernannten Delegierten das Stimmrecht abzuerkennen. Ohne diese 50 hätten die Mudschaheddin, ehemalige islamistische antisowjetische Widerstandskämpfer einschließlich der Nordallianz, eine Mehrheit.

Zu den von Karsai ernannten 50 Delegierten gehört auch Mudschadedi. Sein Gegenkandidat, der islamistische Journalist Abdul Hafis Mansur, trat mit oppositionellen Statements an. „Ich werde der Regierung die Hand abschlagen“, sagte Mansur. Er ist Redakteur der Zeitschrift Payam-e Mudschahid, die das Sprachrohr der Nordallianz-Fraktion des früheren Präsidenten Burhanuddin Rabbani ist.

Karsai hatte mit Mudschadedi einen Kompromisskandidaten gewählt, der als Geistlicher auch bei den Mudschaheddin angesehen ist. Mudschadedi war 1992 nach dem Sturz der prosowjetischen Regierung sechs Monate der erste Präsident der Mudschaheddin-Koalitionsregierung gewesen, bevor er das Amt vereinbarungsgemäß an Rabbani abgab. Der hielt sich nicht mehr an die vereinbarte Rotation. Rabbani gilt als Karsais Widersacher.

Nachdem der 89-jährige Exkönig Mohammed Sahir Schah die Versammlung der rund 400 Männer und 100 Frauen am Sonntag mit dem Appell eröffnet hatte, für das Wohl des Landes zu entscheiden, betonte Karsai die Erfolge seiner Regierung. 2,5 Millionen Flüchtlinge seien zurückgekehrt, 1.500 Kilometer Straßen gebaut worden, Schulen eröffnet und das Land an das internationale Flugnetz angeschlossen worden. Bei den Problemen betonte er die Opiumproduktion.

Der Chef des staatlichen Antidrogenprogramms wurde gestern mit Karsais Unterstützung zu einem von Mudschadedis zwei Stellvertretern gewählt. Eigenmächtig ernannte Mudschadedi mit einem Mullah aus dem Umfeld des prosaudischen Warlords Abdul Rab Sajjaf einen nicht vorgesehenen dritten Stellvertreter. Dies lässt auf Absprachen hinter den Kulissen schließen, bei denen eine Vertretung der Frauen auf der Strecke blieb.

Bereits vor der Loja Dschirga war der afghanischstämmige US-Botschafter Zalmay Khalilzad mit Rabbani und Sajjaf zusammengekommen, die Wortführer der Mudhschaheddin sind. Die USA sind Karsais wichtigste Stütze und hatten schon vor der Loja Dschirga 2002 den Exkönig von einer Präsidentschaftskandidatur abgebracht.

Beobachter in Kabul gehen davon aus, dass Karsai das starke Präsidentenamt in der Verfassung verankern könnte, wenn er dafür in der Ausgestaltung des islamischen Rechts nachgibt. Laut dem Verfassungsentwurf soll Afghanistan eine „Islamische Republik sein, in der kein Gesetz gegen die heilige Religion des Islam“ verstoßen darf. Das Grundgesetz bekennt sich auch zur UN-Menschenrechtserklärung. Islamisten haben angekündigt, mehr Scharia und weniger Menschenrechte durchsetzen zu wollen. SVEN HANSEN