Die Oligarchen wählen mit

Mafiose Wirtschaftsbosse haben großen Einfluss. Für sie ist Präsident Janukowitsch das kleinere Übel

Im Vorfeld der Wahl verkaufte der staatliche Vermögensfonds so ziemlich alles, was noch einen Wert hatte. Und das zu Discountpreisen

LWIW taz ■ Die ukrainischen Oligarchen haben in den vergangenen Jahren einen immer stärkeren Einfluss auf die Politik ausgeübt. Die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik wurde immer enger. Die Wirtschaftsbosse haben nicht nur versucht, Einfluss auf die Politik zu nehmen, um ihre direkte Geschäftsinteressen zu sichern. Zunehmend wollten sie ihre Macht ausweiten und selbst in der Politik mitspielen.

Der Aufstieg des Donezker Clans, dessen Vertreter, der heutige Ministerpräsident Janukowitsch zum offiziellen Sieger bei der Präsidentschaftswahl erklärt wurde, ist das beste Beispiel dafür, dass die Oligarchen nun nach der höchsten Macht greifen. Vor den Wahlen konnten sich drei mächtige Clans auf eine gemeinsame Kandidatur einigen. Diese Wirtschaftsgruppen, ein Riesenkonglomerat von miteinander durch Kreuzbeteiligungen verbundenen Unternehmen, kontrollieren laut Expertenschätzungen bis zu 70 Prozent der ukranischen Wirtschaft. Die Namen von Wiktor Medwedtschuk, Wiktor Pintschuk und Rinat Achmetow tauchen regelmäßig auf den Listen der reichsten Männer Osteuropas auf. Die drei reichsten Männer der Ukraine werden von vielen Beobachtern mit drei Wirtschaftsclans in Verbindung gebracht: der Kiewer, der Dnjepropetrowsker und der Donezker Gruppe. Medwedtschuk, der heimliche Wahlleiter von Janukowitsch, ist Chef der Präsidialverwaltung, seine Kiewer Gruppe hat u. a. im Energiegeschäft Fuß gefasst.

Pintschuk ist der Schwiegersohn von Kutschma und kommt wie der scheidende ukrainische Präsident aus der ostukrainischen Region Dnjepropetrowsk. Ihm gehört der Konzern „Interpipe“, der alle Rohrfabriken und mehrere Metallurgiebetriebe in der Ukraine kontrolliert. Achmetow, bisher eher im Hintergrund, wird ebenso mit der ukrainischen Hütten- und Montanindustrie in Verbindung gebracht.

Obwohl Janukowitsch sehr wahrscheinlich nicht der Wunschkandidat von Präsident Kutschma war, und auch die Oligarchen aus den konkurrierenden Gruppierungen wohl an seinem Aufstieg und an einer Stärkung der Donezker Gruppe nicht interessiert waren, erschien ihnen der jetzt ausgerufene Ministerpräsident als das kleinere Übel. Er war der Einzige, dem zugetraut wurde, sich gegen den charismatischen Oppositionsführer Juschtschenko durchzusetzen. Wahrscheinlich wurden im Oligarchenlager auch vor der Wahl komplizierte Absprachen getroffen, zusätzlich haben sich alle Clans bei den massiven Privatisierungen in diesem Jahr bereichert. Es herrschte eine Stimmung wie beim Ladenschlussverkauf – vor den Wahlen hat der Staatsvermögensfonds ziemlich alles verkauft, was noch irgendeinen Wert hatte. Zu Discountpreisen. Etwa Kryworischstal, das größte Hüttenwerk Europas, wurde zum Preis von rund 800 Millionen US-Dollar verkauft – an ein Konsortium von Pintschuk und Achmetow. Westliche Investoren, die das Doppelte geboten haben, blieben bei der Ausschreibung ausgeschlossen. Die gesetzwidrige Privatisierung soll die Einheit im Oligarchenlager zementieren.

Aber auch die Opposition steht vor einer schwierigen Entscheidung. Zum einen wäre es für Juschtschenko nicht schlecht, ein Kompromiss mit einem Teil des Oligarchenlagers zu schließen. Zum anderen will die Opposition wegen der massiven Verstöße bei den letzen Unternehmensverkäufen in besonders anrüchigen Fällen die Entscheidungen aufheben – eine Gefahr für das Oligarchenlager, das bisher noch zusammenhält. Wie lange noch, das ist im Moment schwer zu sagen. JURI DURKOT