All denen, denen ich nicht danke

Die Schauspielerin Sibel Kekilli hat den „Shooting Star“-Bambi bekommen. Eigentlich ist er für ihr Lebenswerk

Sibel Kekilli hat die diesjährige Bambi-Verleihung zu einem Ereignis gemacht, das es eigentlich gar nicht ist: eines von gesellschaftspolitischer Relevanz. Der auslobende Burda-Verlag hatte ihr den Bambi in der Kategorie „Shooting Star“ des Jahres zugedacht – und Kekilli nutzte die ihr gebotene Bühne, um sich öffentlich zur Wehr zu setzen. „Und denen ich nicht danke, das sind Bild und Kölner Express. Hört endlich auf mit dieser dreckigen Hetzkampagne, das, was ihr macht, nennt man Medienvergewaltigung“, rief sie, tatsächlich Rotz und Wasser heulend, in den Saal – die Regie schwenkte daraufhin nicht etwa auf die durchaus anwesenden Verantwortlichen des Springer-Verlags, sondern auf einen liberal lächelnden Hubert Burda sowie einen gütigen Helmut Kohl. Väter, die verzeihen können, auch die Mitwirkung in einem Pornofilm (zumindest wenn es sich nicht um die eigenen Kinder handelt).

Für Kekillis Vater bedeutet dies jedoch eine Bedrohung der Familienehre: Nachdem die Boulevardpresse, die gerade für ihre Rolle in dem Fatih-Akin-Film „Gegen die Wand“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Schauspielerin aufgrund ihrer Mitwirkung in Pornofilmen wochenlang durch den Dreck gezogen hatte, wurde sie von ihrer türkischstämmigen Familie offiziell verstoßen. Bei der Bambi-Verleihung wurde sie nun offiziell in eine neue Familie aufgenommen, quasi in die Mitte der Gesellschaft: Sie stehe, so die Begründung, für die neue Generation von türkischstämmigen deutschen Frauen. Und Kekilli selbst hofft, ein Vorbild für junge Musliminnen in Deutschland zu sein: Sie sollen von ihr lernen, dass ein selbst bestimmtes Leben möglich ist.

Ihre Familie hatte der Schauspielerin versagt, das Abitur zu machen. Stattdessen wurde sie Angestellte der Stadtverwaltung Heilbronn – bevor sie ausbrach, um ihr eigenes Leben zu leben, inklusive einem Ausflug in die Pornobranche, der für sie nach eigener Aussage auch ein Akt der Rebellion gewesen sei.

In „Gegen die Wand“ hatte Sibel Kekilli quasi sich selbst gespielt: eine junge Muslimin, die zwischen der modernen westlichen Gesellschaft und den Traditionsvorstellungen ihrer Familie steht. Kekilli hat den Bambi nicht nur für ihre schauspielerische Leistung bekommen, sondern auch für ihre bisherige Lebensleistung. Die von ihr vergossenen Tränen waren dementsprechend echt – echte Emotionen inmitten der glitzernden Hubert-Burda-Media-Vermarktungsmaschine.

Auch wenn Sibel Kekilli damit den ihr eigentlich gesteckten Danksagungsrahmen gesprengt hat – sie nahm auch noch Stellung zum Attentat auf Theo van Gogh in den Niederlanden – war ihr Auftritt ein Gewinn. Nicht nur für die Veranstalter – echte Gefühle gelten im TV als kostbar. Sibel Kekilli hat die Herzen der Zuschauer auf ihre Seite gebracht. Vielleicht hatten ihre Eltern zumindest heimlich den Fernseher angeschaltet. Sie könnten so stolz auf ihre Tochter sein. MARTIN REICHERT