Bahnungen und Entladungen

Eine profane, wunderbare Erleuchtung: Carsten Nicolais neue Bilderreihe „Funken“ in der Galerie Eigen+Art erhellt das prekäre Verhältnis von Kunst und Physik und erhebt verborgene Naturprozesse zu einer Größe unendlicher Poesie

So viel Leuchtkraft kommt dann doch unerwartet an einem schlappen Novembertag. Großformatige Bilder füllen den Raum mit strahlenden Farben, eigenwillige Muster entfalten sich auf schneeweißem Hintergrund. In weiten Abständen, vereinzelt, sind da Striche neben strahlenförmigen Verästelungen zu sehen. Manche deutlicher, andere schemenhaft. Manche dunkel-, andere blassblau. Blicke gegen grelles Licht, mit denen man gerade noch die nächste Umgebung wahrnehmen kann.

Carsten Nicolais Bilderreihe „Funken“ in der Galerie Eigen+Art versetzt den Betrachter zunächst ins Staunen. Arbiträre Formen treten da hervor, die wie kleinste Einheiten von kargen Graslandschaften, Disteln oder Dornenbüschen wirken. Doch verraten sie nichts über ihre Herkunft, entziehen sich in ihren scheinbar willkürlichen Gestalten jedem Identifizierungsversuch.

Ein halbes Stockwerk höher bringt der Ausstellungstext Klarheit. Was unten begeistert, wird hier erklärt, und das klingt dann erst mal etwas nüchtern: Carsten Nicolai hat Funkenbahnen der Gasentladungen von sich entzündendem Magnesium mit minimaler Belichtungszeit fotografiert. Der Entladung von Funken liegen Gesetzmäßigkeiten zugrunde, die genau berechnet werden können. Eine höchst wissenschaftliche, analytische Angelegenheit also.

Schon in früheren Arbeiten beschäftigte sich Nicolai mit dem prekären Verhältnis von Kunst und technisch-physikalischen Prozessen. So in „snow noise“, wo er die unterschiedlichsten Strukturen von Eiskristallen darstellte, oder in der Installation „telefunken“, in der er Tonsignale über einen Fernseher abspielte, um deren Linienmuster sichtbar zu machen. Sichtbarmachung des Unsichtbaren, der verborgenen Schönheit von Naturprozessen – darum geht es Nicolai.

Der letzte Raum von „Funken“ – abgetrennt vom Rest der Ausstellungsfläche – gibt das Phänomen, das Ausgangspunkt der Bilder ist, schließlich vollends preis: Zwischen zwei Metallschrauben in der Wand entladen sich ununterbrochen Minifunken. Es knistert leise und blitzt kaum merklich. Man muss genau hinsehen, sich Zeit nehmen, bis man diesen Prozess erfasst. „Viele meiner Arbeiten unterliegen einer Regel und beinhalten Modellcharakter. Das Modell als Ordnungsprinzip, um chaotische Bewegungen erkennen zu können. Mich interessieren diese beiden Momente, sie liegen ungeheuer nah nebeneinander“, sagt Nicolai.

Am Ende der Ausstellung steht so der Beginn für Nicolais Arbeiten. Es ist der Betrachter, der an dieser Stelle den Loop vollzieht, der den kreativen Prozess vom Ursprung bis zum Ausstellungsstück jetzt noch einmal verfolgen kann. Ein unbemerkter Vorgang wird von Carsten Nicolai zu einer Größe unendlicher Poesie erhoben. Und eine clever arrangierte Ausstellungsanordnung lässt den Betrachter diesen Schaffensprozess nachvollziehen. Eine profane, wunderbare Erleuchtung. ANDREA ERDLINGER

Carsten Nicolai: „Funken“. Bis 20. 12. 2003, Galerie Eigen+Art, Auguststr. 26, 10117 Berlin, Dienstag–Sonnabend 11–18 Uhr