Verfassungsschutz: Ver.di-Aktive im Visier

Der Thüringer Verfassungsschutz überwacht zwei Gewerkschafter. Jetzt soll er die Akten freigeben – und windet sich

BERLIN taz ■ Der Thüringer Verfassungsschutz gerät ein weiteres Mal in die Schlagzeilen. Erst führte er jahrelang hochrangige Neonazis als V-Leute. Dann verschwanden Computer und Akten aus den Büroräumen der Behörde. Nun verwendet das Landesamt viel juristische Raffinesse, um zwei hauptamtliche Gewerkschafter weiter beobachten zu dürfen und ihnen die Einsicht in ihre Akten zu verwehren: Angelo Lucifero und Julik Bürgin engagieren sich gegen Rassismus. Der Verfassungsschutz aber verdächtigt sie, als Linksextremisten aktiv zu sein.

Lucifero ist Fachbereichsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Bürgin ist Referentin im DGB-Bildungswerk Thüringen. Beide wirken in der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus des DGB mit, die antirassistische Initiativen im Freistaat vernetzt und antirassistische Projekte unterstützt. Bürgin erfuhr 1998 zufällig, dass sie in einem Monatsbericht des Verfassungsschutzes auftauchte. Der Grund: Sie hatte in Erfurt anlässlich des Antirassismustages der Vereinten Nationen eine Demo angemeldet, an der angeblich 200 Autonome teilgenommen hätten. Bürgin klagte auf Akteneinsicht und eine Korrektur der Eingabe. „Der Bericht des Verfassungsschutzes über die Demo war völlig falsch“, so Bürgin. „Da haben Gewerkschafter, Kirchenvertreter und Sozialarbeiter teilgenommen, und es sind vielleicht zehn Autonome gekommen. Die Demo verlief friedlich.“ Es gebe keinen Anlass für den Verfassungsschutz, darüber zu berichten.

Lucifero – damals Vize-Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung – sollte im selben Jahr in den Aufsichtsrat der Landeszentralbank entsandt werden. Das Innenministerium verhinderte dies, weil „Sicherheitsbedenken“ gegen ihn bestünden. Auch Lucifero legte Klage ein.

Laut Bürgin ist es kein Einzelfall, dass Thüringer Verfassungsschützer antirassistisch engagierte Gewerkschafter beobachten. Auch über eine Weimarer Friedensdemo während des Kosovokonfliktes und ein Antifa-Workcamp in der Gedenkstätte Buchenwald habe der Verfassungsschutz berichtet. „Da stellt sich doch die Frage nach dem Demokratieverständnis der Behörde“, sagt Bürgin.

Seit Jahren beschäftigt es die Juristen, wie mit den Akten der beiden Gewerkschafter zu verfahren ist. Im August erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Sperrung der Akten für ungültig. Sie enthielten überwiegend Berichte über öffentliche Veranstaltungen, über die auch die auch die Presse berichtet hatte, argumentierten die Bundesrichter. Doch das Verwaltungsgericht Weimar gab die Akten trotz dieses Urteils nicht frei. Vielmehr gab es dem Innenministerium Zeit, einen neuen Sperrvermerk zu verhängen. Ministeriumssprecher Martin Rößler sagte der taz: „Die Gerichte haben unseren Sperrvermerk bemängelt, weil er formale Mängel enthalten hatte. Das hindert uns nicht, die Akten erneut, nunmehr formal korrekt, zu sperren.“ MARINA MAI