Saunabesuch ohne Wiederkehr

Seit über fünf Jahren sind in Weißrussland Oppositionelle verschwunden, Angehörige organisieren Mahnwachen

BERLIN taz ■ „Die ersten Monate stand ich unter Schock, und nur die Hoffnung hat mir geholfen, weiterzuleben. Dann habe ich begriffen, dass diese Hoffnung mein Leben zerstört, den Blick auf die Realitäten verstellt und mich jeder positiven Energie beraubt. Mittlerweile habe ich die furchtbare Wahrheit akzeptiert, dass mein Mann ermordet wurde“, sagt Irina Krassowskaja.

Am 16. September 1999 hatte sich der weißrussische Geschäftsmann Anatoli Krassowsky mit seinem Bekannten Wiktor Gontschar in Minsk zu einem Saunabesuch verabredet. Gontschar hatte sich zu diesem Zeitpunkt, nicht zuletzt als Organisator alternativer Präsidentenwahlen im Frühjahr 1999, bereits als Kritiker des autokratischen Staatschefs Alexander Lukaschenko offen hervorgetan. Als ihr Mann um 23 Uhr noch nicht zu Hause war, beschlichen Irina Krassowskaja Vorahnungen. „Ab ein Uhr habe ich alle Nummern angerufen, die ich hatte. Angehörige, gemeinsame Freunde, die Leichenhalle …“

Wiktor Gontschar und Anatoli Krassowsky sind seitdem verschwunden. Ihre beiden Fälle waren jedoch nicht die Ersten. Bereits am 7. Mai desselben Jahres war der General und frühere Innenminister Juri Sacharenko auf seinem Nachhauseweg verschwunden. Sacharenko bereitete die Gründung eines Verbands von Offizieren vor, die in Opposition zu Lukaschenko stehen.

Am 7. Juli 2000 wollte Dimitri Sawadski, Kameramann des russischen Fernsehsenders ORT, einen Kollegen am Minsker Flughafen abholen. Dort verliert sich seine Spur. Sawadski, einst persönlicher Kameramann von Lukaschenko, hatte die Seite gewechselt. In einem Interview mit der oppositionellen Zeitung Belorusskaja Delowaja Gaseta vom Januar 2000 hatte Sawadski von der Verhaftung mehrerer Angehöriger der weißrussischen Eliteeinheit „Almas“ in Tschetschenien berichtet, die aufseiten der Rebellen in Kampfhandlungen verwickelt gewesen sein sollen. Ein entsprechender Film war in Vorbereitung. Nicht zuletzt das Verschwinden Sawadskis war der Auslöser für Verwandte und Freunde, sich zusammenzuschließen.

Im gleichen Jahr gründeten sie unter Leitung von Irina Krassowskaja die Gruppe „Wir erinnern“. Was zunächst als moralische Unterstützergemeinschaft begann – „wir haben uns gegenseitig Mut gemacht, wer geweint hat, tat das für sich allein“ – ist zu einer politischen, auch international aktiven Bewegung geworden. Vor allem Mitglieder der oppositionellen Jugendbewegung „Subr“, die ständigem Druck und Verhaftungen ausgesetzt sind, helfen beim Verteilen von Informationsmaterial und organisierten Mahnwachen, bei denen die Angehörigen als stumme Zeugen der Anklage mit den Fotos der Opfer stundenlang auf der Straße ausharren.

Im vergangenen Frühjahr legte der Zypriote Christos Pourgourides im Auftrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einen Bericht über die Verschwundenen in Weißrussland vor. Darin heißt es, dass eine unfassende Untersuchung durch die Behörden nicht stattgefunden habe. Und weiter: „Es wurden Schritte von höchster staatlicher Stelle unternommen, um den wahren Hintergrund des Verschwindens zu verschleiern und es ist anzunehmen, dass hohe Staatsbeamte selbst in diese Fälle verstrickt sind.“ Eine Konsequenz dieses Berichts ist, dass mehrere hochrangige weißrussische Amtsträger mit einem EU-Einreiseverbot belegt sind.

Nach dem gefälschten Referendum vom 17. Oktober, mit dem sich Lukaschenko eine weitere Amtszeit besorgte, wird der Druck auf seine Gegner wachsen, glaubt Irina Krassowskaja. Doch sei der Kampfgeist besonders bei den jungen Leuten erwacht und Lukaschenkos Tage daher gezählt. „Und dann werden wir die ganze Wahrheit erfahren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

BARBARA OERTEL