Deine neue Freundin, die Autobahn

Eine Gruppe von PlanerInnen suchte auf einem Gelsenkirchener Kongress nach neuen Ideen für Schnellstraßen und Autobahnen. PKW werde es immer geben, so ein Fazit, deshalb müsse besser mit als gegen das Auto geplant werden

RUHR taz ■ Über 600 Kilometer Autobahnen durchziehen das Ruhrgebiet, zehn Prozent seiner Fläche sind für PKW-Lawinen zubetoniert. Viel zu lange sei das Auto als Teil des Stadtbildes ignoriert worden, sagen StadtplanerInnen und Architekten. Der Kongress „Stadt der Geschwindigkeit – Wege zur städtebaulichen Integration von Verkehrskorridoren“ in Gelsenkirchen, vor zwei Wochen begonnen und jetzt ausgewertet, entdeckte das Auto als maßgeblichen Faktor im städtischen Leben.

„Auf absehbare Zeit müssen wir uns damit abfinden, dass es den motorisierten Individualverkehr gibt“, sagte Michael Koch vom Städtebau-Institut der Bergischen Universität Wuppertal. „Autos und Autobahnen bleiben uns erhalten.“ Deshalb sei es an der Zeit, sich mit diesen „Unorten“ zu beschäftigen. Eine positive Sichtweise sei ungewohnt, aber nötig, um die Orte für AnwohnerInnen und NutzerInnen gestalten zu können.

Erstmalig trafen auf dem vom Städtebauministerium initiierten Kongress Stadt- und RaumplanerInnen auf Tief- und Straßenbauingenieure. „Autobahnen sind ein Tabuthema“, sagte Ulrich Hatzfeld vom Städtebauministerium. Bisher habe sich die Städtebaupolitik immer um wunderbare Innenstädte gekümmert, aber die alltägliche Nutzung der Straßen vernachlässigt. Sein Ministerium wolle sich jetzt dafür einsetzen, die vernachlässigten Flächen um Autobahnen zu nutzen. „Wir wollen nicht Künstler auf Lärmschutzwälle loslassen“, sagte Hatzfeld. Aber es müssten neue Wege gefunden werden, mit AnwohnerInnen und Firmen gemeinsam die Areale zu erschließen.

Welche Wege das sein könnten, ließ Hatzfeld aber im Dunkeln. Dass Autobahnen wissenschaftliches Neuland sind, bewiesen auch die zahlreichen aufgeworfenen aber ungelösten Fragen des Kongresses. Können sich Menschen an Lärm einer Straße im Schlafzimmer gewöhnen? Stört Verkehrslärm auf Friedhöfen die ewige Ruhe? Sollen Einkaufszentren von der Autobahn aus sichtbar sein?

In der Verkehrspolitik ist das Ruhrgebiet ein weltweiter Prototyp, sagte Martin zur Nedden, Stadtbaurat aus Bochum. Er sieht das Problem allerdings schwinden. „In Zukunft können wir die Flächen an der Autobahn wieder frei lassen.“ Schließlich schrumpfe die Bevölkerung und auch Gewerbeflächen würden in Zukunft weniger benötigt. „Wir haben keinen Druck mehr, die Ränder zu erobern.“ Von Neddens praktische Sicht stieß bei den übrigen StadplanerInnen auf Widerstand: „Die Autobahnen sind das Schaufenster zum Ruhrgebiet“, sagt Architekt Henrik Sander. Jeder Autofahrer müsse in Zukunft auf der Autobahn erkennen können, in welcher Stadt er sich befinde. Zum Beispiel solle Dortmund mit weit sichtbaren Pylonen für seinen Technologiepark werben. „Bisher hat nur Ikea so eine Signaltafel.“

Das Auto ist aus den Städten zwar nicht wegzudenken – der Schutz vor seinen Abgasen und Geräuschen blieb dennoch zentrales Thema. „Ich wünsche mir mehr Alternativen zu traditionellen Lösungen wie zum Beispiel beim Thema Lärmschutz“, sagt Michael Heinze vom Straßenbauamt NRW. So sei es antiquiert, die nahe Bebauung von Autobahnen generell zu verbieten. Deshalb habe das Land der Stadt Essen angeboten, innovative Lärmschutzkonzepte im kommenden Jahr mit 15 Millionen Euro zu fördern. „Ein Wall kann nicht länger das Nonplusultra sein“, sagte Heinze. Aber auch er konnte am Ende des Kongresses nicht sagen, welche Alternativen das Land in Zukunft den AutobahnanwohnerInnen anzubieten hat. ANNIKA JOERES