Das böse Erwachen

Italiens Medien merken plötzlich, dass sich das Land im Krieg befindet. Nun muss das Märchen von den im Irak „beliebten Italienern“ revidiert werden

aus Rom MICHAEL BRAUN

Fünf Zeitungen, fünfmal das gleiche Farbfoto in Großformat: ein italienischer Soldat, der sich, vor der Ruine des Carabinieri-Quartiers, fassungslos an den Helm fasst. Und fünfmal der fast wortgleiche Titel: „Strage degli italiani“, Blutbad unter den Italienern. Angesichts der Katastrophe von Nassirija herrscht nationale Einheit in den italienischen Medien, vom Berlusconi-Blatt Il Giornale über die eher konservativ gestimmten La Stampa, Corriere della Sera, Messaggero zur linksliberalen Repubblica, aber auch bei den Fernsehstationen, bei der staatlichen RAI genauso wie bei den Berlusconi-Sendern.

Einheit zunächst im bösen Erwachen. Waren da Italiener im Irak? Fünf Monate lang hatte das Land, hatten seine Medien die Präsenz von Militärs und Carabinieri – die mit immerhin knapp 3.000 Leuten vor Ort sind – kaum wahrgenommen. Und wenn, dann nur um abzuwiegeln, um die beruhigenden Sprüche des Verteidigungsministers weiterzureichen: „Nassirija ist sicher“, „die Lage im Irak bessert sich“. „Im Krieg, ohne es zu wissen“, kommentierte gestern die Stampa, und das Wort Krieg war auf allen Fernsehkanälen in aller Munde, auch wenn sich in der gleichzeitig laufenden Parlamentsdebatte kein einziger Politiker zu dem hässlichen Terminus greifen mochte.

Einheit aber auch bei der Feier der „Helden von Nassirija“. Nicht bloß deren Biografien erfuhren die Zuschauer und Leser („Er liebte die Uniform über alles“); die Fernsehkameras und Reporter rückten quer durchs Land, vom Piemont bis nach Sizilien, auch den Angehörigen auf den Leib („Was empfinden Sie bei der schrecklichen Nachricht?“), um die Tragödie auch schön gefühlig aufbereiten zu können – „Italien weint um seine Jungs“, hieß es groß auf der Projektionswand im RAI-Studio.

Einheit schließlich bei der Ausmalung der Geschichte, die Italiener seien als Besatzungsmacht „ganz anders“ als die ungeliebten Amerikaner, beliebt bei den Irakern, weil immer herzlich und hilfsbereit. Dazu zeigt das Fernsehen Archivbilder von Soldaten, die Lebensmittelpakete verteilen – und ein „Experte“ versteigt sich später im Studio zu dem Schluss, die Täter könnten ergo gar keine Iraker gewesen sein, weil die ja die Italiener mögen.

Und doch blieb Platz für ein paar traurige Wahrheiten. „Von wegen Friedensmission“, sagt der Bruder eines toten Carabiniere in die RAI-Kamera, „er ist gefahren, um den schmalen Familienetat aufzubessern.“ Und da ist der hilflose Offizier im Studio, der erklärt, die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort seien einfach optimal gewesen, „ohne die Barriere vor dem Gebäude hätten wir 60 Tote gehabt“. Oder der Soldat in Nassirija, der das dauernde Gerede von den ach so beliebten Italienern nicht mehr hören will: „Wir werden mit Steinen beworfen.“

Und schließlich Lilli Gruber, die den Außenminister live auf dem Sender schlecht aussehen lässt, als sie vorrechnet, wie die Amerikaner die Situation im Irak vor die Wand gefahren haben. Keinen Platz dagegen hatten Italiens Medien für die neun toten Iraker. Die blieben, wie immer in diesem Krieg, eine Zahl, eine statistische Größe ohne Gesicht, ohne Biografie.