„Das ist deutsche Geschichte pur“

Betroffenheit über die Beteiligung einer Degussa-Tochterfirma an den Fundamenten des Holocaust-Mahnmals. Stiftung bezeichnet Situation als „schwierig“. Politiker wollen Fundamente nicht abreißen. Strieder: „Was gebaut ist, ist gebaut“

„Wer gedacht hat, dass man moralisch rein bauen könnte, war auf dem Irrweg“

von UWE RADA

Die Stiftung für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin kann ihre Tagesordnung für die nächste Kuratoriumssitzung getrost in den Mülleimer werfen. Eigentlich sollten die 22 Kuratoriumsmitglieder Ende dieser Woche darüber beraten, wie es beim Bau des Mahnmals weitergeht, nachdem entschieden wurde, keinen Graffiti-Schutz der Firma Degussa zu verwenden. Nun hat die Geschichte das Gremium erneut eingeholt. Gestern wurde bekannt, dass beim Bau der Fundamente für die 2.700 Stelen ein Betonverflüssiger der Degussa-Tochter Woehrmann Bauchemie verwendet worden war.

Damit hat der Düsseldorfer Chemiegigant, dessen Tochterfirma Degesch im Nationalsozialismus das Vernichtungsgas Zyklon B produziert hatte, den schwarzen Peter wieder abgegeben. Schließlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post mit der Enthüllung aufwartete. Die Degussa selbst bestätigte: „Intensive Recherchen der Degussa haben ergeben, dass der Betonverflüssiger von der Degussa-Tochter Woehrmann stammt.“ Nun befinden sich Degussa-Produkte nicht nur auf einigen hundert Stelen, sondern auch im Fundament des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.

Die Entscheidung, die die Kuratoriumsmitglieder in der auf Anfang nächster Woche verschobenen Sitzung treffen müssen, ist nicht mehr so einfach wie bei den Stelen. Das ging schon aus der Rheinischen Post hervor, in der es unter Hinweis auf das „Umfeld des Kuratoriums“ hieß, wenn Degussa wegen ihrer Vergangenheit unerwünscht sei, müsse das Mahnmal „abgerissen werden“. Entsprechend zugeknöpft gab sich gestern die Initiatorin des Mahnmals, Lea Rosh, gegenüber der taz: „Ich kann dazu nichts sagen. Ich kenne nicht mal die Fakten.“ Rosh war neben Berlins Bausenator Peter Strieder (SPD) eine der Befürworterinnen, der Degussa den Auftrag für den Anti-Graffiti-Schutz zu entziehen. Nun scheint sich das Pendel von der „emotionalen Fraktion“, wie es intern bei der Stiftung heißt, zugunsten der „rationalen Fraktion“ verschoben zu haben. „Die atavistische Vorstellung, dass man das Mahnmal nicht weiterbaut, weil Produkte von Degussa drin sind, wäre voraufklärerisch“, kommentierte Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) gegenüber der taz. Und auch Stiftungssprecher Uwe Neumärker sagte: „Die Stiftung wurde gegründet, um das Holocaust-Mahnmal zu bauen und nicht, um es abzureißen.“ Den neuerlichen Fund nannte er „schwierig“. Aber das, so Neumärker, „ist eben deutsche Geschichte pur“.

Schon am Wochenende hatte sich der Vorsitzende des Kuratoriums, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), mit deutlichen Worten gemeldet: „Niemand sollte verwundert sein, dass die deutsche Vergangenheit immer mal wieder in die Gegenwart hineinragt. Wer gedacht hat, dass man dies Denkmal klinisch oder moralisch rein bauen könnte, war auf einem Irrweg.“

Dem schloss sich gestern auch Bausenator Strieder an: „Man muss zwar weiter sensibel mit dem Thema umgehen. Aber was gebaut ist, ist gebaut.“