nebensachen aus jerusalem
: Wenn der Generalstreik droht

„Sei so gut und füll den Tank“, bittet mein Nachbar, als er mir seinen Wagen für den Tag überlässt. Der landesweite Benzinvorrat würde innerhalb von vier bis sechs Stunden aufgebraucht sein, hatte der Chef der Allgemeinen Gewerkschaft Histadrut, Amir Peretz, am Wochenende prognostiziert und die Versorgung der Tankstellen in Israel schon einen Tag vor dem angedrohten Generalstreik unterbrochen. Das Treibstoffdefizit sollte für die Bevölkerung spürbar sein, wenn es ernst wird. In der Nacht zum Sonntag zogen die Tankstellen die Preise kurzerhand um drei Prozent an, trotzdem hieß es für die Wagenhalter gestern Schlangestehen.

Dass sich die Histadrut beim Volk Sympathien erzwingen kann, ist eher unwahrscheinlich. Denn nachdem dramatische Kürzungen im Sozialbereich, vor allem für Arbeitslose, alleinstehende Mütter und Behinderte – die Ärmsten der Armen – schon seit August in Kraft sind, geht es jetzt unter anderem darum, die staatlichen Einrichtungen effektiver zu machen. Geplant sind Kürzungen von rund 1.000 Stellen, die die Gewerkschaft, ungeachtet der staatlichen Haushaltsmisere, um jeden Preis retten will. Die meisten Ämter sind schon seit zwei Wochen geschlossen. Ausländische Journalisten werden an den Kontrollpunkten zu den besetzten palästinensischen Gebieten zurückgewiesen, weil sie nicht akkreditiert sind, was ihnen auch gar nicht möglich ist, da das staatliche Presseamt den Dienst verweigert.

In einem kürzlich vom israelischen Finanzministerium veröffentlichten Dokument ist von einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 20.000 Schekel (rund 4.000 Euro) für einen Hafenarbeiter die Rede. Das liegt weit über dem allgemeinen Durchschnittseinkommen, trotzdem streiken die Hafenarbeiter seit Monaten immer mal wieder.

Seit Anfang September warten Alexander und Susan Prisant, Immigranten aus Kalifornien, auf ihre im Hafen von Ashdod lagernden Möbel, ihr Auto, ihre Kleidung und ihre Bücher. Doch nicht nur, dass sie in einer leeren Wohnung sitzen, sie müssen zusätzlich täglich eine Strafgebühr für die Lagerung ihrer Güter zahlen und überlegen bereits, ob sie nicht besser wieder nach Kalifornien zurückkehren sollten.

Da nahezu der gesamte Warenexport auf dem Wasserweg transportiert wird und jeder Streiktag die israelische Wirtschaft umgerechnet annähernd 50 Millionen Euro kostet, hatte die Regierung im Oktober mit einer alternativen Verschiffung über Ägypten und Jordanien gedroht, zu der es bislang jedoch nicht kam. Einzig die Stadtverwaltungen haben bei früheren Streiks ihre Drohungen wahrgemacht, als sie private Firmen mit der Müllentsorgung beauftragten.

Bis gestern Nachmittag stand der Ausgang der Verhandlungen zwischen Histadrut-Chef Peretz und Finanzminister Benjamin Netanjahu in den Sternen, dennoch wurde ein Viertel der Flüge abgesagt oder vorverlegt. Sollte die Gewerkschaft ihre Drohung wahrmachen, wird ab heute der gesamte öffentliche Sektor bestreikt – Post, Telefon- und Stromgesellschaften, Krankenhäuser, Schulen, Banken, Ministerien, Stadtverwaltungen. Beeilt euch, eure Briefe abzuschicken, sorgt für Bargeld, Benzin und alternative Kinderversorgung, riet die auflagenstärkste Tageszeitung Jediot Achronot am Sonntag ihren Lesern. SUSANNE KNAUL