Beinharter Rock auf Türkisch

Die türkische Community hört fast nur orientalischen Pop – türkische Heavy-Metal-Bands haben es da schwer. In Berlin gibt es genau drei

„Deutsch ist unmelodisch. Es ist wie eine Bauernsprache“

von CEM SEY

Der türkische Teppichbodenverkäufer in der Weddinger Müllerstraße guckt von seiner Arbeit hoch und versucht zu verstehen, nach wem er gefragt wurde. Plötzlich grinst er: „Ach, die Jungs, die für unsere Kopfschmerzen verantwortlich sind! Sie sind da unten im Keller.“ Da er es freundlich meint, fügt er eilig hinzu: „Aber im Grunde genommen sind sie okay. Wenn wir bloß nicht immer aus solidarischen Gründen ihre komischen CDs kaufen müssten!“

„Die Jungs“ sind die Mitglieder türkischen Heavy-Metal-Band Inkarna. Sie üben seit zwei Jahren leidenschaftlich ihr Repertoire von ganzen sieben Titeln. Ihre Fangemeinde überschreitet nicht zwei hundert Menschen. Sie teilen diese mit zwei weiteren türkisch-berliner Heavy-Metal-Bands.

„Inkarna“ übt in einem kleinen Proberaum, der nach Rock aussieht: Er ist vollgestellt mit Musikinstrumenten, Regalen, Sesseln und Stühlen. An der Wand hängen ein Metallica-Poster und der billige Kalender eines chinesischen Imbisses. Aus der Mülltonne fallen Beck’s-Flaschen heraus. Zwei Nachttischlampen beleuchten alte Teppichböden, die an der Decke kleben und für eine Schallisolierung sorgen sollen.

„Wir sind hier Untermieter einer deutschen Gruppe und teilen den Raum mit ihnen“, entschuldigt E-Gitarrist Murat Tosun das Chaos, „seit Monaten suchen wir einen besseren Raum. Es ist alles zu teuer. Unser Geld wollen wir ja lieber für Instrumente ausgeben.“ Seine Gitarre kaufte der 30-Jährige für 400 Euro, für das Schlagzeug bezahlten sie 500 Euro – alles aus zweiter Hand.

„Das Ganze machen wir aus Spaß“, sagt Tosun. „Wir müssen den Deutschen nichts beweisen.“

Dass er als Pauschalist für das türkische Massenblatt Hürriyet arbeitet, macht ihn automatisch zum PR-Mann von Inkarna.

Das fängt schon bei der Namensfindung an. „Wir haben darauf geachtet, dass der Bandname aus Buchstaben gebildet wurde, die auch im Türkischen vorkommen. Unsere Zielgruppe ist ja türkisch. Unsere Texte sind mystisch.“ Auch wenn türkische Musik sonst nicht das ist, was man sich unter hartem Rock vorstellt, sieht Tosun eine gelungene Synergie: „Sicher kann man daraus Heavy Metal machen. Die orientalischen Klänge kommen von selbst, unsere Hand driftet immer so ab.“ Wenn die Jungs ankündigen, „lasst uns unsere Ballade spielen“, folgt eine türkische Melodie mit heftigem Heavy-Metal-Einsatz.

Halit Pestil, der Bassgitarrist, und Angelo Valtchev, der Schlagzeuger, folgen Tosuns Instruktionen. Valtchev ist der Einzige in der Gruppe, der professionell Musik macht. „Obwohl ich seit vier Jahren in einer Latin-Jazz-Gruppe mitspiele, bin ich ein Heavy-Metal-Fan“, sagt er.

Bisher tritt Inkarna zumeist als Vorgruppe von Stoneheads, die als Meister aller türkisch-berliner Heavy Metaler gelten. Auch sie leiden unter finanziellen Schwierigkeiten, obwohl sie schon seit zehn Jahren einigermaßen erfolgreich „im Geschäft“ sind.

Yalim Ergin, der Gitarrist der Gruppe, übernimmt meistens alle Kosten der Band. Der Sozialpädagoge betreut geistig Behinderte. Durch diesen Job ist er der Besserverdienende unter ihnen. Die Stoneheads kritisieren den türkischsprachigen Berliner Radiosender Metropol FM, weil dort nur Pop oder Arabesque zu hören sei. „Etwas Kulturelles fehlt da“, behaupten sie.

Doch die Stoneheads schielen nicht unbedingt auf Prominenz: „Mir würde ja ein bisschen Respekt schon reichen“, meint Ergin. „Anerkennung. Der Sender sollte sehen, dass es Jugendliche gibt, die hier was ganz Besonderes machen, die versuchen ihre Kultur, ihre Sprache irgend wie zu verbreiten – auch unter der deutschen Bevölkerung.“

Vor eineinhalb Jahren gründete die Band die „Turkish Rock Community“, um ihre – wie sie sie selbst nennen – „härtere Musik“ bekannt zu machen. So entstand, in den sonst immer gleich klingenden Arabesque-Melodien der türkischen Migranten, eine Insel der Rock- und Heavy-Metal-Musik. Ergin erinnert sich: „Am Anfang war es sogar schwierig, Musiker zu finden. Die Band stand fast komplett, aber es fehlte ein Bassist.“

Jetzt ist die erste Durststrecke überstanden. Aus dieser aufkeimenden Szene heraus sind zwei weitere Rockgruppen entstanden: Inkarna und Balta – beide werden zunehmend bekannter.

Dabei sei es nicht immer einfach mit dem türkischen Publikum in Berlin. „Sie sind ziemlich verschreckt“, beschreibt Ergin die ersten Reaktionen auf Konzerten. Das typisch türkische Publikum erwarte etwas Poppiges oder Volksmusikartiges. „Wenn sie die ersten Akkorde hören, dann schreien erst mal ein Paar Mädels auf: ‚Igitt, das ist ja schrecklich!‘ Aber sie hören sich das dann an. Und ich glaube, das gefällt ihnen schon.“

Die Turkish Rock Community gibt es noch. Sie pflegen ihre Kontakte zur Fan-Gemeinde, lassen in ihren Konzerten eine Liste herumgehen. Wer sich einträgt, erhält über das Internet regelmäßig Informationen über die Neuigkeiten im „Rock-Business“ und neue Konzerte von Stoneheads.

Wenn auch alle Gruppenmitglieder in Deutschland aufgewachsen sind, singen sie nur auf Türkisch – weil es beim Publikum besser ankommt. „Mit meiner eigenen Sprache kann ich mich besser ausdrücken“, sagt Olkay Sökmen, der Sänger von Stoneheads. „Deutsch ist unmelodisch. Klingt vielleicht ein bisschen beleidigend, aber es ist wie eine Bauernsprache. Es hat keine Melodie, auch in der Sprache hat es keine Melodie.“ Türkisch dagegen klinge harmonischer, nicht so aggressiv.

Mit seiner frei fallenden langen Mähne wird er dem Rockmusiker-Klischee gerecht. Sein Türkisch ist mit Akzent und verrät die bäuerliche Herkunft seiner Eltern. Er selbst ist hier mit deutschen, griechischen und jugoslawischen Kindern aufgewachsen: „Unsere türkische Musik war bei mir tabu. Ich habe sie nie gehört, nie ein Verlangen nach ihr gehabt.“ Seine Geschichte versteht er als Beweis dafür, dass sie mit ihrer Mission, ihre Musik den Türken in der Stadt näher zu bringen, Erfolg haben könnten. Jetzt vielleicht auch mit ihrer ersten CD.

Die Heavy-Band Stoneheads spielt heute Abend um 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27