„Schritt ins vorige Jahrhundert“

Eltern und Bildungspolitiker von Rot-Rot und Grünen warnen die Brandenburger SPD, das Bildungsressort an die CDU abzugeben. Bei den Potsdamer Nachbarn ist die Entscheidung noch offen

VON STEFAN ALBERTI
UND SABINE AM ORDE

Die Brandenburger Sozialdemokraten, noch mitten in den Koalitionsverhandlungen mit den Schwarzen, denken daran, das Bildungsressort an die CDU abzutreten. Die Entscheidung sei „offen“, sagte Parteisprecher Klaus Ness der taz. Zwar gebe es die Präferenz, das Ressort zu halten, „aber wir verhandeln ein Gesamtpaket“. Indiz könnte sein, dass der langjährige Amtsinhaber Steffen Reiche (SPD) dem Vernehmen nach dem neuen Kabinett nicht angehören soll.

In Berlin reagierten rote und grüne Schulpolitiker sowie der Landeselternausschuss ablehnend. PDS-Expertin Siglinde Schaub befürchtete einen „Schritt zurück ins vorige Jahrhundert“. Mit bundesweiten Auswirkungen: Brandenburg hat 2005 den Vorsitz in der Kultusministerkonferenz. Reiche, 44, Mitbegründer der Ost-SPD und früher Landeschef der Sozialdemokraten, hatte das brandenburgische Bildungsministerium, seit 1994 bei der SPD, 1999 übernommen. Die Ressortverteilung für die rot-schwarze Landesregierung soll am Wochenende feststehen.

„Ich bin sehr dafür, dass Reiche das weiter macht, und fände es schade, wenn das Ressort an die CDU ginge“, sagte die schulpolitische Sprecherin der Berliner SPD-Fraktion, Felicitas Tesch. Andernfalls sehe sie die Kontinuität in der Zusammenarbeit beider Länder gefährdet.

Tesch verweist auf einen gemeinsamen Rahmenplan für Grundschulen und ähnliche Vorhaben für die Oberstufe. Gerade mit Blick auf den Speckgürtel darf es ihrer Ansicht nach keine schulpolitische Kluft zwischen Berlin und Brandenburg geben.

Dass die SPD das Ressort an die geschwächt aus der Landtagswahl hervorgegangene CDU abgeben könnte, kommt äußerst überraschend. Denn nur Hartz IV hatte im Wahlkampf verhindert, dass Bildung das Streitthema zwischen beiden Parteien war. Zentraler Dissens: Die Union will die Grundschule auf vier Jahre verkürzen, die SPD hingegen mindestens den jetzigen Stand von sechs Jahren halten.

Gibt zukünftig die Union den Ton in der brandenburgischen Bildungspolitik an, wird sich Rot-Rot in Berlin entscheiden müssen: allein weiter Richtung Gemeinschaftsschule oder auf Augenhöhe mit Brandenburg, von der CDU gebremst. Für die PDS-Abgeordnete Schaub ist die Sache klar: „Wir werden unsere Linie des längeren gemeinsamen Lernens Schritt für Schritt verfolgen. Das steht im Vordergrund, vor der gemeinsamen Region.“

Nicht nur Regierungspolitiker lehnen ein CDU-geführtes Bildungsressort in Brandenburg ab. „Es ist eine Katastrophe, dass die SPD bereit ist, dieses Zukunftsressort abzugeben“, sagt auch Grünen-Bildungsexperte Özcan Mutlu. Zwar könne man die bildungspolitischen Eckpunkte im Koalitionsvertrag festschreiben. „Aber die CDU wird dringend notwendige Reformen verlangsamen“, meint er. Er fürchtet beispielsweise, die CDU könne die sechsjährige Grundschule zwar nicht abschaffen, ihre Grundhaltung aber weitere Binnendifferenzierung unterhöhlen.

Auch Andre Schindler, Chef des Landeselternausschusses Berlin, ist alles andere als begeistert: „Wenn die SPD dazu bereit ist, kann Bildung für sie nicht solche Priorität haben, wie sie immer behauptet.“ Die CDU sei in vielerlei Hinsicht auf einem ganz anderen Kurs als der Landeselternausschuss: „Wir sind dafür, dass die Kinder länger zusammen lernen und nicht kürzer.“