Ein modernes Haus für alle

Modular gebaute Hochhäuser gibt es in ganz Europa. „Cubed“, eine Kunstausstellung im Projektraum „plattform“, erinnert an die städteplanerischen Utopien, die mit den Plattenbauten realisiert werden sollten – und was von ihnen übrig geblieben ist

VON TIM ACKERMANN

Der Plattenbau hat in den letzten Jahren eine beachtliche künstlerische Imageaufwertung erfahren. Nicht nur der gefragte Berliner Maler Erik Schmidt demonstrierte durch die gekonnte Vermarktung des eigenen Wohnraums, dass sich die öden Betonwände einer DDR-Baukastenwohnung in die hippen Betonwände eines Pseudo-Lofts verwandeln lassen. Und Cornelius Mangold traf mit seinem „Plattenbau-Quartett“ den Geschmack chronisch ironischer Bohemiens.

Über die Platte zu lachen und in der Platte zu wohnen sind allerdings zwei verschiedene Dinge. Gerne wird bei aller ästhetischen Fetischisierung vergessen, dass die spätmoderne Fertigbauarchitektur eine eigene stadtplanerische Utopie zu realisieren versuchte. An eben diese erinnert zurzeit die Ausstellung „Cubed“ im Projektraum „plattform“.

Kuratorin Ulrike Kremeier hat dafür Kunstwerke zusammengeholt, die sich mit den soziopolitischen Hintergründen des modularen Bauens in Ostdeutschland und Frankreich beschäftigen. Kremeier erzählt, dass in der DDR die Betonhochhäuser eng mit der Utopie einer enthierarchisierten Gesellschaft verknüpft waren: Die normierten Wohnungen sollten sowohl Fabrikarbeiter als auch Fabrikleiter beherbergen. Nach den Äußerungen ostdeutscher Architekturhistoriker klappte die gesellschaftliche Durchmischung zumindest zeitweilig.

Roman Fehrs mehrteilige Arbeit „extended“ reinszeniert diese DDR-Utopie noch einmal für den Betrachter. Ein Videofilm zeigt Bilder von Berliner Plattenbauten über die Zitate aus bautheoretischen Schriften gelegt wurden. Beim zweiten Teil von „extended“ kann sich der Besucher über Kopfhörer Geräusche aus dem Inneren eines Plattenbaus anhören und dabei auf ein verkleinertes Wandelement schauen, dessen Maßstab der standardisierten Wahrnehmung von Plattenbaufassaden in der Realität entspricht. Durch den streng durchgeplanten Abstand von Gebäuden und Freiflächen erblickt der Betrachter die Fassaden angeblich stets in einer normierten Größe.

Die Installation „Trappes“ von Raphael Grisey richtet dagegen den Blick auf Frankreich, wo die Schlafstädte der Banlieues – stärker noch als in irgendeinem anderen Land Westeuropas – mit sozialer Ausgrenzung verbunden sind. Trappes ist ein trostloser Vorort von Paris, seine tristen Hochhäuser sind architektonische Ikonen der Perspektivlosigkeit. Grisey hat die Schlafstadt und ihre Einwohner porträtiert. Seine Installation besteht aus zwei aufeinander gesetzten Kuben, die die Resultate der Forschungen nach der Methode von Grafikschränken präsentieren. Schublade für Schublade puzzelt man sich so das Scheitern der Utopie zusammen: Attraktives modulares Wohnen scheint in der heutigen Konkurrenzgesellschaft nicht durchsetzbar.

Doch auch die bourgeoise Gegenutopie – das eigene Häusle – scheint unter bestimmten Voraussetzungen ihre Anziehungskraft verloren zu haben. Mit Clemens von Wedemeyers Videofilm „Die Siedlung“ vollendet die Ausstellung ihren gedanklichen Dreisprung: In „Die Siedlung“ sieht man einen enthusiastischen Immobilienmakler über die Brache einer geplanten Einfamilienhaussiedlung in Leipzig-Grünau hasten. Dabei preist er seine Luftschlösser stets als Antithese zur einer in Sichtweite befindlichen hässlichen Plattenbausiedlung an. Am Ende des Films erfährt man jedoch, dass sich für die Fertighäuser in Leipzig-Grünau keine Käufer finden. Individualität von der Stange scheint dort nicht zu ziehen.

Wem das beständige Kapitulieren der Architektur vor der Realität zu viel ist, der wendet sich Albert Weis’ rein ästhetischer Arbeit „folders“ zu, die Fassadenfotografie und gefaltete Papierarbeiten nebeneinander stellt und dabei über die dünne Grenze zwischen Innen- und Außenwelt nachdenkt. Oder man flüchtet sich gleich in die Fiktion: Zwei Filmabende runden die Ausstellung thematisch ab. Lothar Warnkes Spielfilm „Unser kurzes Leben“ über eine idealistische DDR-Architektin wurde bereits gezeigt. Und am nächsten Dienstag gibt’s den stets hinreißenden Jacques Tati mit „Playtime“, eine Satire auf die Architektur von Morgen – gesehen durch die Brille der Sechzigerjahre. Das ist noch schöner als ein Plattenbau-Quartett.

Bis 15. 10., plattform, Weydingerstr. 20, Mi.–Fr., 14–19 Uhr. Filmabend am Di., 5. 10., 20 Uhr