Vom Hungerstreik aufs Siegertreppchen

Sebastián „Chano“ Rodríguez saß wegen Bombenanschlägen im Knast. Jetzt ist er Spaniens Star im Behindertensport

Es fällt Sebastián Rodríguez nicht leicht, die spanische Hymne über sich ergehen zu lassen. Dabei hatte der 47-jährige Schwimmer genug Gelegenheiten, sich daran zu gewöhnen. Fünfmal stand der von der Hüfte abwärts gelähmte Sportler bei den Paralympics in Sydney mit seinem Rollstuhl ganz oben auf der Treppe und zweimal schon in Athen. Er ist damit der erfolgreichste spanische Sportler aller Zeiten. Doch wenn ihm zu Ehren die rot-gelb-rote Fahne zur Hymne hochgezogen wird, sträubt sich bei Chano, wie ihn seine Freunde nennen, alles.

Denn Rodríguez kämpfte sein ganzes Leben gegen dieses Spanien. Erst als Student gegen die Diktatur von Francisco Franco und dann ab 1975 als Mitglied der marxistisch-leninistischen Grapo gegen die kapitalistische Monarchie. Mit Sprengstoff und Pistole wollte Rodríguez seine Vorstellung von einem neuen Spanien durchsetzen. 1983 wurde er gefasst und später für Bombenanschläge und die Ermordung eines Unternehmers zu 84 Jahren Haft verurteilt.

Seine Lähmung ist Folge der Haft. Rodríguez nahm 1990 an einem der härtesten Hungerstreiks teil, die es je in Europas Gefängnissen für die Forderung nach Zusammenlegung gab. 432 Tage verweigerte der Grapo-Mann jede Nahrung. Vergeblich schickte er seine Anwälte vors Oberste Gericht, um die Zwangsernährung stoppen zu lassen. Als Rodríguez wieder zu essen begann, musste er feststellen, dass er sich eine Eiweißunverträglichkeit zugezogen hatte. Diese schwere Krankheit brachte ihn in den Rollstuhl. Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen.

Zurück in der galicischen Hafenstadt Vigo zog Rodríguez mit einem Gefährten, der seit einer Schießerei mit der Polizei ebenfalls im Rollstuhl sitzt, zusammen. Ihren Lebensunterhalt verdienen sich die beiden, die noch immer in einem Unterstützerkomitee für Grapo-Gefangene tätig sind, durch den Verkauf von Lotterielosen der Blindenorganisation ONCE. Zum Muskelaufbau bekam Rodríguez vom Arzt Schwimmen verordnet. Er hatte sich im Wasser schon immer wohl gefühlt und begann ernsthaft zu trainieren. 2000 schaffte er den Sprung in die spanische Nationalmannschaft für Sydney, wo er fünf Medaillen holte. In Athen will er jetzt noch mehr Edelmetall sammeln.

Aus seiner Vergangenheit macht der Vater einer 19-jährigen Tochter keinen Hehl. „Ich habe aus allen Erfahrungen viel gelernt“, sagt der in seiner Stadt sehr beliebte Sportler. Rodríguez ist der einzige spanische Behindertensportler mit eigenem Sponsorvertrag. Ein Energiegetränk unterstützt ihn wie auch der Fußballspieler Valery Karpin von der Real Sociedad im baskischen San Sebastián. Dennoch machte sich Rodríguez zum Wortführer seiner Kollegen aus dem Behindertensport. „Wenn wir Medaillen wollen, müssen wir auch den Behindertensport professionalisieren. Wir müssen die paraolympischen Sportler genauso wirtschaftlich anerkennen wie die olympischen“, fordert er immer wieder.

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