Urteil im Kolonialstil

Die Wahlen in Indonesien am Montag werfen ihren Schatten voraus. Der Chef des wichtigsten Magazins des Landes bekam das gestern zu spüren

AUS JAKARTA SVEN HANSEN

Zu einem Jahr Gefängnis ist gestern der Chefredakteur des angesehensten indonesischen Polit-Magazins verurteilt worden. Bambang Harymurti von Tempo wurde von einem Bezirksgericht für einen Artikel verantwortlich gemacht, in dem der Geschäftsmann Tomy Winata verleumdet worden und damit „Unruhe“ erzeugt worden sei. Harymurti kündigte Berufung an. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre Gefängnis gefordert

Pate als Brandstifter

Tempo hatte im März 2003 über ein Feuer in Jakartas Marktviertel berichtet. In dem von Ahmad Taufik geschriebenen und von Teuku Iskandar Ali redigierten Text wurde gemutmaßt, Winata könnte hinter dem Brand stecken, weil er dort ein Einkaufszentrum bauen wolle. Der Artikel enthielt ein Dementi von Winatas und vom ebenafalls involvierten Stadtteilbürgermeister. Taufik war aber zuvor ein Plan zur Brandstiftung zugespielt worden, der Winatas Namen enthielt – von einem Beamten, der anonym bleiben wollte: Winata hat beste Beziehungen zu hohen Militärs und Polizisten.

Taufik und Ali wurden gestern Mittag unter großem Jubel mehrerer hundert Journalisten freigesprochen, obwohl das Gericht ihren Artikel als verleumderisch wertete. Die Verantwortung dafür trage aber der Chefredakteur.

Journalisten und Medienorganisationen beunruhigt, dass der Fall nicht auf Grundlage des nach dem Sturz des Diktators Suharto reformierten Pressegesetzes verhandelt wurde – sondern nach einem Paragrafen aus dem Strafrecht, der noch aus der Kolonialzeit stammt: „Dass Indonesien zulässt, dass sein eigenes Pressegesetz irrelevant, aber sein antiquiertes Gesetz gegen unliebsame Meinungen angewendet wird, legt nahe, dass es nicht das letzte Mal sein wird“, befürchtet Roby Alampay vom südostasiatischen Presseverband Seapa.

Winata behauptete, er wollte Journalisten nicht ins Gefängnis schicken, sondern nur eine Entschuldigung. Harimurti sah dafür aber keinen Grund. Winata reichte sieben Klagen gegen die Verlagsgruppe Tempo ein. Davon wurden bisher vier in erster Instanz entschieden, darunter drei zugunsten von Winata. In zwei Berufungsverhandlungen konnte sich Tempo durchsetzen. Darauf hofft Harymurti auch jetzt wieder. Denn die Berufungsverhandlung wird erst nach den Präsidentschaftswahlen am Montag erfolgen. Der in Umfragen führende Kandidat Susilo Bambang Yudhoyono bekennt sich deutlicher zur Pressefreiheit als die bisherige Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri.

Justiz im Wahlkampf

Gegenüber der taz wertete Harymuri Winatas Klagen als Versuche aus dem Umfeld Megawatis, die Presse einzuschüchtern: „Doch das ging im Wahlkampf nach hinten los.“ Rechneten bis vor kurzem Beobachter mit zweijährigen Haftstrafen für alle Angeklagten, so deutete sich mit der plötzlichen Verschiebung der ursprünglich für den 6. September geplanten Urteilsverkündung ein Kampf hinter den Kulissen der als korrupt geltenden indonesischen Justiz.

Nach der Veröffentlichung des Artikels hatten 200 „Anhänger“ von Winata versucht, die Tempo-Redaktion zu stürmen, um eine Preisgabe der Quellen zu erzwingen – und später freigesprochen. Schon 1994 wurde das Magazin in der Ära Suharto verboten. Tempo, 1971 nach dem US-Vorbild Time gegründet, konnte erst dem Sturz des Diktators 1998 wieder erscheinen.