Wenn der Terror nicht mehr schreckt

Mit demonstrativer Gelassenheit widmen sich die Experten auf dem Kieler Historikertag dem Phänomen des weltweiten Terrorismus. Gefährlicher als die Anschläge selbst ist in ihren Augen die bisweilen hysterische Reaktion in der Öffentlichkeit

AUS KIEL RALPH BOLLMANN

Diesmal waren die Historiker wirklich schnell. Nicht einmal zwei Wochen sind seit der Geiselnahme in der Schule von Beslan vergangen, in der Perspektive der Geschichtsforschung eine unglaublich kurze Zeit. Und schon haben 3.500 Gelehrte, die sich zurzeit in Kiel zum 45. Deutschen Historikertag treffen, das Thema auf die Tagesordnung ihres nur alle zwei Jahre stattfindenden Fachkongresses gesetzt.

„Terror grenzenlos?“, so lautete die Fragestellung der eilig ins Programm gehobenen Debatte am gestrigen Nachmittag. Bei aller äußerlichen Eile ließen sich die Historiker in der Sache selbst die Gelassenheit nicht nehmen, die allein aus der Betrachtung langfristiger Perspektiven erwächst.

So reichte gestern der Blick vom Terror der alten Athener gegen die Zivilbevölkerung der eroberten Insel Melos bis zu den unberechenbaren Übergriffen der Piraten auf friedliche Schiffe in der frühen Neuzeit, von der Ermordung des italienischen Sozialisten Giacomo Matteotti durch die Faschisten bis zum Linksterrorismus der Siebzigerjahre.

Keck wies der israelische Historiker Moshe Zimmermann darauf hin, dass selbst am 11. September 2001 weit weniger Menschen ums Leben gekommen seien als an einem einzigen Tag des Zweiten Weltkriegs – und erklärte so die Nüchternheit, mit der Geschichtsforscher in den vergangenen Jahren auf das angeblich so neue Phänomen des Terrorismus reagiert haben. Vor allem aber seien die Historiker gegenüber vermeintlichen Terror-Experten im Vorteil, weil sie den Blick auf die tiefer liegenden Strukturen richten könnten.

Hier aber stieß der Konsens der Experten schnell an seine Grenzen. Während Zimmermann die Ursachen des Terrorismus in Unterdrückung und Unterentwicklung verortete, plädierte die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer entschieden gegen derlei Erklärungsversuche. „Nicht die Ärmsten führen den Kampf“, sagte sie. Auch die Terroristen selbst argumentierten keineswegs mit sozialen und ökonomischen Beweggründen. Vielmehr legitimierten sie ihre Attentate mit der politischen und kulturellen Überwältigung durch den Westen.

Zugleich warnte Krämer davor, „den“ islamischen Terrorismus als homogenen Block zu betrachten. Es handele sich zwar um ein „globales Phänomen“ mit ideologischen Gemeinsamkeiten und einzelnen logistischen Querverbindungen, doch seien die Anschläge keineswegs „zentral gesteuert“. Für die Vorgänge in Tschetschenien interessierten sich palästinensische Selbstmordattentäter herzlich wenig, und umgekehrt hätten Tschetschenen auch kein Interesse an Palästina.

Teils ausgesprochen, teils unausgesprochen ließen die versammelten Historiker durchblicken, dass sie die größte Gefahr des Terrorismus weniger in den Anschlägen selbst sehen, sondern eher in den hysterischen Reaktionen einer panischen Öffentlichkeit und eines autoritär verformten Staates. Den Medien, so der Göttinger Historiker Habbo Knoch, komme dabei eine zentrale Rolle zu.

Eine Prognose, wie lange die gegenwärtige Eskalation des Terrors noch andauern wird, mochte die Zunft freilich nicht wagen. Einige Fachvertreter verwiesen hoffnungsfroh darauf, dass ja auch der Terrorismus der deutschen RAF oder der italienischen Roten Brigaden trotz apokalyptischer Prognosen irgendwann zu Ende gegangen sei. Der Jerusalemer Geschichtsprofessor Zimmermann dagegen prophezeite, dass die Anschläge irgendwann auch Deutschland erreichen würden: „Dann wissen wir, dass sich die Prognose eines wirklich weltweiten Terrors verwirklicht hat.“

Dem Kieler Privatdozenten Ekkehard Klug, der als FDP-Landtagsabgeordneter um die Untiefen öffentlicher Debatten weiß, schwante, dass die demonstrative Gelassenheit der Historiker beim breiten Publikum womöglich nicht gut ankommt. Die „Nüchternheit des Fachs“, so Klug, werde „außerhalb der Fachwelt häufig missverstanden“. Dennoch bleibe es Aufgabe der Historiker, das Publikum vor „Klischees und falschen Analogien“ zu warnen.