Im Treibhaus

Nur industrienahe Lobbyisten bestreiten noch die Klimaerwärmung. Ein Essay über extrem heiße oder feuchte Wetterlagen nach einem Sommer voller Hitze und Dürre

von STEFAN RAHMSTORF

Der Sommer 2003 wird als Rekordsommer in die Klimageschichte eingehen. Hierzulande wurde die höchste je gemessene Temperatur sowie die wärmste Nacht verzeichnet. In Frankreich gibt es über zehntausend Hitzetote zu beklagen, in Italien, Skandinavien und den Beneluxstaaten herrschte weithin Dürre. Sind das die Folgen der globalen Klimaerwärmung? Die Standardantwort kennt jeder: ein klares Jein.

Eine einzelne Hitzewelle oder eine Flut wird nie direkt ursächlich auf die Erderwärmung zurückgeführt werden können. Einen Beleg für die Erwärmung liefert nur der Überblick über alle Klimadaten. Auf dieser Basis ist die Tatsache der globalen Erwärmung in der Forschung nicht mehr umstritten – wie auch sehr gut belegt ist, dass der Mensch für diesen Prozess überwiegend verantwortlich ist.

Obwohl unter den Klimaforschern weltweit Einhelligkeit in dieser Einschätzung besteht, kann ein Laie leicht den gegenteiligen Eindruck gewinnen. Grund dafür ist die Lobbytätigkeit von industrienahen Interessengruppen, die durch die Präsentation dubioser Studien den Eindruck zu erwecken suchen, der Klimawandel sei stark umstritten.

Vor allem in den USA hat dieser Lobbyismus in den vergangenen Jahren professionelle Formen angenommen und erheblichen Einfluss auf die Politik gewonnen. Eine Untersuchung amerikanischer Politologen kommt zu dem Schluss, dass die Lobbytätigkeit von über einem Dutzend industrienaher und deshalb bestens finanzierter Organisationen zur Wende in der US-Klimapolitik und zum Ausstieg aus dem Kiotoprotokoll beigetragen hat.

Aktuelle Beispiele sind die massive Revision des Klimakapitels des – jährlich erscheinenden – Umweltberichts, die die US-Umweltbehörde EPA auf Druck des Weißen Hauses vornehmen musste, sowie eine heftige Debatte in einer Klimaanhörung des US-Senats. In beiden Fällen beriefen sich Regierungsvertreter auf eine Studie der Astronomen Willie Soon und Sallie Baliunas, nach der die Erwärmung im 20. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches sei.

Unter Klimatologen hat diese Studie jedoch Kopfschütteln ausgelöst – nicht wegen des Ergebnisses, sondern wegen einer ganzen Reihe schwerer methodischer Mängel.

Laut New York Times stehen Soon und Baliunas auf der Gehaltsliste des George C. Marshall Institute – einer industrienahen Denkfabrik, die seit Jahren Lobbyarbeit gegen Klimaschutz betreibt. Ihre Studie wurde vom American Petroleum Institute finanziert. Die Strategie ähnelt der der Tabakindustrie, die über viele Jahre immer wieder Wissenschaftler und Studien präsentierte, die die Unschädlichkeit des Rauchens nachweisen sollten.

So genannte Klimaskeptiker sind in Deutschland auch rührig, vor allem der Bundesverband Braunkohle zusammen mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), einer nachgeordneten Behörde des Wirtschaftsministeriums. Der Braunkohleverband publizierte kürzlich eine Beilage in der Multiplikatorenzeitschrift Journalist – eine Erwiderung durch eine Gruppe unabhängiger Klimatologen wurde abgelehnt. Die BGR, medial nicht weniger aktiv, gab ein Buch (Titel: „Klimafakten“) sowie Broschüren heraus.

Die darin vorgetragenen Argumente lesen sich weitgehend wie von den Internetseiten der US-Lobbyorganisationen übernommen. Mangels echter Klimaforscher, die die Treibhauserwärmung bezweifeln, werden von „Klimaskeptikern“ gar ganze Forschungsinstitute als Potemkin’sche Dörfer in die Medienlandschaft gesetzt. So berichtete der Journalist Dirk Maxeiner in der Welt, das „Schröter-Institut zur Erforschung von Zyklen der Sonnenaktivität“ habe festgestellt, das vom Menschen erzeugte Kohlendioxid spiele für das Klima „eine sehr viel geringere Rolle als bisher angenommen“. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Institutsnamen der in der Klimaskeptikerszene aktive Jurist Theodor Landscheidt. Ein Laie kann eine solche Zeitungsmeldung kaum von einer seriösen Wissenschaftsmeldung unterscheiden; von Medienmachern sollte man aber einen vorsichtigeren Umgang mit dem Thema erwarten.

Als Wissenschaftler kann man nur die sachlichen Argumente immer wieder nüchtern in den Vordergrund rücken. Fast alle Klimatologen sind überzeugt, dass der überwiegende Teil der aktuellen Erwärmung durch den Anstieg von Kohlendioxid und einiger anderer Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht wird – also vom Menschen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe.

Der erste Grund ist die Tatsache, dass der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung um ein Drittel angestiegen ist. Ursache für diesen Anstieg ist hauptsächlich die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas). Der Mensch hat damit den Kohlenstoffkreislauf kurzgeschlossen und überführt große Mengen Kohlenstoff von der Erdkruste in die Atmosphäre – pro Jahr etwa so viel, wie in einer Million Jahren der Erdgeschichte abgelagert wurde.

Der zweite Grund ist die seit über hundert Jahren bekannte, im Labor leicht nachmessbare Eigenschaft von Kohlendioxid, Wärmestrahlung zu absorbieren. Dadurch wird das Strahlungsgleichgewicht der Erde verändert – was den so genannten Treibhauseffekt bewirkt. Ihn gibt es schon seit Beginn der Erdgeschichte, ohne ihn wäre der Planet völlig vereist.

Der Mensch hat den Treibhauseffekt also nicht etwa erschaffen, er verändert lediglich seine Stärke. Der vom Menschen verursachte Anstieg des Kohlendioxids (und einiger anderer Gase mit ähnlicher Wirkung, etwa Methan) führt zu einer zusätzlichen Strahlung am Boden von 2,4 Watt pro Quadratmeter.

Diese werden von keinem Wissenschaftler in Frage gestellt. Diskutiert wird lediglich, um wie viel sich das Klima durch die 2,4 Watt zusätzlicher Strahlung erwärmt. Dies wäre eine Rechenaufgabe für Physikstudenten, wenn es nicht Rückkopplungen im Klimasystem mit zu bedenken gäbe – sowohl positive (verstärkende) als auch negative (abschwächende).

Ein Verstärker ist etwa das Eisfeedback: Wird es wärmer, gibt es weniger Eis und Schnee auf der Erde, wodurch auch weniger Sonnenstrahlung zurückgespiegelt wird. Dadurch wird die ursprüngliche Erwärmung etwas verstärkt. Ein Abschwächer ist das Wolkenfeedback: Wird es wärmer, können mehr Wolken entstehen, die der Erwärmung teilweise entgegenwirken. Die Rückkopplungen müssen also abgeschätzt werden, um die vom Menschen verursachte Erwärmung berechnen zu können.

Dabei tappt man zum Glück nicht im Dunklen, denn schon am heutigen Klima lassen sich die meisten Aspekte der Rückkopplungen beobachten und messen: Bereits das heutige Klima kennt ja starke Temperaturvariationen, etwa beim Wechsel der Jahreszeiten. Kalkuliert man alles ein, ergibt sich als beste heutige Schätzung für 2,4 Watt Strahlung eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius, allerdings erst nach langer Zeit. Nun muss man noch die Wärmespeicherfähigkeit der Ozeane berücksichtigen, durch die das Klima nur zeitverzögert reagiert: Bis heute sollte demnach erst die Hälfte bis zwei Drittel der Gleichgewichtserwärmung realisiert sein.

Das bedeutet: Der Mensch sollte durch seine Treibhausgase bislang eine Erwärmung von 0,75 bis 1 Grad Celsius verursacht haben. Dieser Wert passt gut zur beobachteten Erwärmung im 20. Jahrhundert (auch wenn die tatsächliche Entwicklung nicht nur durch die Treibhausgase bestimmt wird, sondern sich noch einige weitere, kleinere Effekte überlagern). Dies ist der Kern der Besorgnis über den Treibhauseffekt.

Die Unsicherheit in dieser Rechnung beläuft sich etwa auf einen Faktor zwei, weil manche Rückkopplungen nur ungenau bestimmt werden können. Die Erwärmung könnte also halb oder auch doppelt so groß wie die beste Abschätzung ausfallen. Am grundsätzlichen Problem ändert diese Unsicherheit wenig: Auch wenn der optimistischste Fall eintritt, würde die Erwärmung ohne Gegenmaßnahmen in diesem Jahrhundert das Klima weit über das Maß der natürlichen Schwankungen der letzten Jahrtausende hinaus aufheizen.

Um Entwarnung geben zu können, müsste die Wirkung der Treibhausgase um erheblich mehr als nur den Faktor zwei überschätzt worden sein. Es müssten also bislang unbekannte, aber sehr stark abschwächende Rückkopplungen im Klimasystem entdeckt werden. Die Chancen dafür stehen nicht gut. Selbst die Gegner von Klimaschutzmaßnahmen haben bislang keine Rückkopplung dieser Art auch nur halbwegs überzeugend aufzeigen können. Dazu kommt, dass die Klimageschichte gegen eine solche starke negative Rückkopplung spricht.

Das Klimasystem hat in der Vergangenheit auf recht subtile Strahlungsänderungen bekannter Stärke (wie die Milankovichzyklen) mit heftigen Ausschlägen reagiert (den Eiszeiten). Diese lassen sich nur verstehen, wenn die Rückkopplungen im Klimasystem insgesamt verstärkend wirken. In der Tat erhält man mit den heute bekannten Rückkopplungen in Simulationsrechnungen ein realistisches Eiszeitklima; auch andere Klimawechsel früherer Zeiten lassen sich mit heutigen Modellen gut nachvollziehen.

Das von Kritikern der Treibhaustheorie so gern wie öffentlichkeitswirksam vorgebrachte Argument, dass das Klima sich schon immer geändert habe, ist also leider kein Grund zur Entwarnung, im Gegenteil. Es belegt die große Empfindlichkeit des Klimasystems.

STEFAN RAHMSTORF, Jahrgang 1960, Professor für Physik der Ozeane, forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung über die Rolle der Meeresströme bei Klimawechseln