Mythen in Tüten

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Mülltrennbarkeit: Die Ausstellung „Recycling Modern Art“ in der Galerie der Künste ist ein ironischer Kommentar zum MoMA-Hype. Dodi Reifenberg hat 30 Meisterwerke der Moderne aus Plastiktüten nachgefertigt

VON TIM ACKERMANN

Wem die Schlange vor der MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie zu lang ist, der hat zurzeit eine verlockende Alternative ganz in der Nähe: Die Galerie der Künste (GDK) in der Potsdamer Straße zeigt Werke des israelischen Künstlers Dodi Reifenberg. Der Titel der Ausstellung – „Recycling Modern Art – Masterpieces cheap and charming“ – weckt hohe Erwartungen. Moderne Meisterwerke soll es hier geben? Auch noch billig?

Tatsächlich fällt beim Betreten der GDK sofort eine Imitation von Matisse’ berühmtem Bild „Der Tanz“ ins Auge. Sie besteht aus Plastiktüten. In der Nähe hängt van Goghs Gemälde „Olivenbäume“, ebenfalls aus Plastik. Reifenberg hat über 30 Meisterwerke aus der aktuellen MoMA-Schau nachgefertigt, indem er bunte Schnipsel aus mehreren hundert Plastiktüten mit Tesa zusammengeklebt hat. Andere Arbeiten hat seine Assistentin aus dem gleichen Material zusammengenäht oder gehäkelt.

„Recycling Modern Art“ – das ist nicht nur die ökologisch vorbildliche Wiederverwertung von gebrauchten Tüten als Material für ein Kunstwerk. Die Kunst der Moderne wird durch die Werke Reifenbergs selbst einem „Recyclingprozess“ unterworfen. Matisse, Picasso & Co. stehen plötzlich im billigen Trash-Look da. Eine kalkulierte Provokation: Die Plastiktüte als Symbol des alltäglichen Shoppingwahns verweist auf den Ausverkauf von Kunst als Touristenattraktion in Eventveranstaltungen wie dem „MoMA in Berlin“.

„Jeder Spießer drückt sich mittlerweile an den Bildern die Nase platt“, sagt Mechthild Rausch, die die Idee zu der Ausstellung in der GDK hatte. Zusammen mit Reifenberg – der schon seit langem in Berlin Plastiktütenkunst macht – habe sie endlich etwas Kritisches zur benachbarten Megakunstschau schaffen wollen.

Abseits aller Marketingschelte entsprechen die Collagen aber auch einer legitimen Strategie zeitgenössischer Künstlertätigkeit. Indem der israelische Künstler ungeniert seine berühmten Kollegen imitiert, wehrt er sich gegen die Dominanz des „Avantgarde“-Gedankens, der künstlerische Anerkennung zwingend mit der Entdeckung von neuen Arbeitsweisen oder Wahrnehmungsmustern verbindet. Bei Reifenberg ist gar nichts neu: weder die Form der Collage noch die Motive noch der Gedanke, aus Müll Kunst zu machen. Es ist die „Nachschöpfung“ an sich, der gewollte Bezug auf die Originale, die die Plastiktütenbilder sehenswert machen.

Diese Vorgehensweise ist ebenfalls nicht neu: Seit den 50er-Jahren kommt es immer wieder vor, dass Künstler Werke von Kollegen ironisch kommentieren. Die Kunstikonen des MoMA bieten da natürlich einiges an Angriffsfläche. So fertigte die unbekannte Künstlerentität Susi Pop Siebdrucke von Gerhard Richters Stammheim-Zyklus an – und zwar in Pink. Sie protestierte damit gegen die Tatsache, dass Richter seinen Werkzyklus ans New Yorker MoMA verkaufte, obwohl er zuvor stets erklärt hatte, die Bilder dürften wegen ihres emotionalen Inhalts nie Teil des Kunstmarkts werden.

Im Gegensatz zu Susi Pops bissiger Kritik bezeichnet Reifenberg seine Plastiktütenkunst augenzwinkernd als „Hommage“. Tatsächlich eröffnen seine Collagen vor allem eine neue Sichtweise auf die Originalbilder. „Besucher, die vorher in der MoMA-Schau ein Bild von Ad Reinhardt gesehen haben, merken manchmal erst durch meine Kopie, dass in dem schwarzen Gemälde ganz schwach ein Kreuz zu sehen ist“, erzählt der Israeli. Manchmal arbeitet er auch bewusst gegen den Stil eines MoMA-Künstlers: Die unregelmäßigen Maschen in einer Häkelkopie von Lichtensteins „Mädchen mit Ball“ veräppeln das strenge Punktraster, das Lichtenstein zum unausweichlichen Markenzeichen seiner Bilder machte. Ein akribisch zusammengenähtes Pollock-Imitat aus bunten Plastikfäden reibt sich an der wilden Expressivität des Vorbilds.

„Charming“ sind Reifenbergs „moderne Meisterwerke“ also tatsächlich und irgendwie ja auch „cheap“: Die Collagen werden nach Discounterprinzip einheitlich für 150 Euro verkauft. Für einen Matisse ist das recht preiswert.

„Recycling Modern Art“: bis 12. 8., Galerie der Künste, Potsdamer Str. 78, Di.–So. 14–20 Uhr