Mit Gottes Hilfe

Brasilien gewinnt glücklich im Elfmeterschießen die Copa América gegen überragendspielende Argentinier. Adriano von Inter Mailand wird mit sieben Treffern Torschützenkönig

VON INGO MALCHER

In den Katakomben des Estadio Nacional von Lima fasste Marcelo Bielsa einen bitteren Fußballnachmittag zusammen. „Wenn im Endspiel die beste Mannschaft des Turniers ermittelt werden soll, dann ist dieses Ergebnis im Ungleichgewicht.“ Minuten zuvor schien die Welt des argentinischen Nationaltrainers noch in Ordnung. Da führte seine Mannschaft mit 2:1 gegen Brasilien, und der 15. Titelgewinn bei einer Copa América schien so gut wie sicher. Daheim fügte sich Brasiliens einstiger Star Falcão als Fernsehkommentator jedenfalls schon in die Niederlage: „Unser Team ist tot. Der Titel der Argentinier ist verdient“, jammerte er. Die Schiedsrichter-Uhr zeigte 47 Minuten und 50 Sekunden, genau zehn Sekunden waren mithin noch zu spielen. Da gab es noch einmal Freistoß für Brasilien, eine der wenigen Unkonzentriertheiten der argentinischen Abwehr um den resoluten Ayala ließ plötzlich Adriano an den Ball kommen, und der Stürmer von Inter Mailand traf mit entschlossenem Linksschuss zum Ausgleich. Es war Adrianos siebter Treffer bei dieser Südamerikameisterschaft, die er als Top-Torjäger beendete. „Da hatte Gott die Hand im Spiel“, war sich Adriano anschließend sicher, obwohl er den Ball eindeutig per Fuß ins Netz getreten hatte.

Als die Brasilianer den Ausgleich direkt vor der Ersatzbank der enttäuschten und entsetzten Argentinier feierten, drohte sogar noch eine Keilerei vor dem Elfmeterschießen – Verlängerung gibt es bei der Copa América nicht. Bielsa konnte seine Spieler zur Räson bringen. Ihre Konzentration zurückgeben konnte er ihnen nicht. Andrés d’Alessandro schoss den ersten Elfmeter in die Arme des brasilianischen Torwarts, der zweite Schütze, Gabriel Heinze, nahm gar die Tribüne ins Visier. Damit war das argentinische Schicksal besiegelt.

„Während des ganzen Spiels haben wir den Sieg gesucht und hätten ihn auch verdient gehabt“, sagte der niedergeschlagene Bielsa später. Tatsächlich hatten die Argentinier das Spiel über weite Strecken kontrolliert und waren mit ihrem schnellen Kombinationsspiel oft gefährlich vor das brasilianische Tor gekommen. Ihre Chancen vergaben sie jedoch großzügig. Bielsas Taktik, das Spiel im Mittelfeld zu kontrollieren und die Brasilianer schon in ihrer eigenen Hälfte anzugreifen, ging auf. Die Seleção hingegen verhielt sich äußerst passiv, stand sehr weit hinten in der Abwehr, wartete auf Konter und vorzugsweise auf die Geistesblitze von Adriano. Mit ähnlicher Spielweise hatte sie sich schon in der Vorrunde und auch im Halbfinale gegen Uruguay durchgesetzt.

Brasiliens Nationaltrainer Carlos Parreira sah dann auch in der Nervenstärke seiner Spieler einen wichtigen Grund für den Triumph. Sekunden vor dem Halbzeitpfiff hatte Luisão ebenfalls nach einem Freistoß per Kopf zum 1:1 ausgeglichen, Sekunden vor dem Schlusspfiff schossen sie das 2:2. „Das zeigt, dass wir zu jeder Zeit sicher waren“, meinte Parreira, um sich anschließend selbst zu feiern: „Dieser Titel bereichert den brasilianischen Fußball, und es ist immer schön, ein Champion zu sein.“ Und bald wird ganz bestimmt auch vergessen sein, dass die brasilianische Nationalmannschaft, die ohne Stars wie Ronaldo, Ronaldinho, Roberto Carlos, Cafú oder Kaka auflief, sowohl im Halbfinale gegen Uruguay als auch im Endspiel gegen Argentinien nur im Elfmeterschießen siegen konnte.

Argentinien hingegen war von Spiel zu Spiel besser seiner Favoritenrolle gerecht geworden. Dem in seiner Heimat heftig kritisierten Marcelo Bielsa war es gelungen, eine Mannschaft zusammenzustellen, die sein kompliziertes und extrem schnelles System, bei dem die Spieler schon vor der Ballannahme wissen müssen, wohin sie den Ball spielen wollen, umzusetzen verstand. Dabei schaffte es Bielsa, das Team so zu mischen, dass sich junge Spieler wie Carlos Tevez und Andrés d’Alessandro mit erfahrenen Routiniers wie Zanetti, Sorín, Kily Gonzalez oder Ayala perfekt ergänzten.

Der umstrittene Marcelo Bielsa hat sich trotz der tragischen Niederlage im erstaunlicherweise ersten argentinisch-brasilianischen Finale in der 88-jährigen Geschichte der Copa América Respekt erkämpft, nicht jedoch die Sympathien der Fans gewonnen. Ein zweiter Platz reicht dafür nicht aus.