Der Passagier als Gefahrgut

Mobilität ist alles, und doch sind Reisende heute zuerst einmal verdächtig. In der Galerie carlier gebauer zeigt Aernout Mik eine Arbeit, die an der Sicherheitskontrolle des Flughafens spielt. Freiwillig Reisende werden im Lauf der Kontrollprozedur zu Flüchtlingen der Umstände

VON MARCUS WOELLER

Reisende soll man nicht aufhalten. Heute kann diese Maxime getrost zu den aussterbenden Redewendungen gezählt werden. Denn Reisende stehen inzwischen unter Generalverdacht, seien es nun Pauschaltouristen, Flüchtlinge oder Menschen ohne festen Wohnsitz. Wer eine Flugreise antritt, wird mit großem Aufwand am schnellen Reiseantritt gehindert. Denn jeder Flugpassagier ist ein potenzieller Attentäter, in jeder Tasche verbirgt sich möglicherweise ein waffenfähiges Utensil, und in jedem Kulturbeutel könnten Flüssigsprengstoffe lauern, getarnt als Shampoo oder Body Lotion.

Aernout Miks jüngstes Werk „touch, rise and fall“ spielt genau hier. An der Sicherheitskontrolle eines Flughafens. Die Videodoppelprojektion des niederländischen Künstlers zeigt in mal mehr, mal weniger voneinander abweichenden Blickwinkeln verschiedene Situationen am Security Check. Der fast vergessene, deutsche Begriff „Abfertigung“ bekommt dabei eine neue, prägnante Qualität. Abgefertigt werden die Passagiere hier wie Sachen, wie Gefahrgut. Miks Kamera schwenkt dabei vermeintlich unbeteiligt über die hierarchisch miteinander verbundenen Handlungsstränge des Schauplatzes Airport.

Die Reisenden warten brav in mehreren Schlangen, bis sie an die Reihe kommen. Sie öffnen ihre Rucksäcke, entledigen sich ihrer Jacken, lösen ihre Gürtel. Alles wird durchleuchtet, jeder wird gefilzt. Technisch und handgreiflich. Jeder Verdacht des Sicherheitspersonals führt zu einer Verschärfung der Lage. Kofferinhalte werden auf den Kopf gestellt, Taschen regelrecht gefleddert, Leibesvisitationen durchgeführt. Plötzlich finden sich halb entkleidete Passagiere zwischen alleingelassenen Gepäckstücken wieder – vor denen auf Flughäfen immer besonders gewarnt wird. Die streng durchorganisierte Kontrolle führt auf der anderen Seite der Sicherheitsschleuse zu einem entropischen Chaos aus Menschen, Gepäck und nicht mehr zuzuordnendem Unrat.

Aernout Mik lässt sich in seiner Arbeit von vorgefundenem Material inspirieren, lotet das narrative Verhältnis von Dokumentation und Fiktion aus und setzt seinen Fokus besonders auf deren performative Elemente. Mit vielen Statisten hat er das Beziehungsgeflecht am Flughafen nachgestellt und all die realistischen, aber auch absurden Szenen herausgearbeitet. Wie verhält sich der Körper im Transit? Welchen Verlauf nehmen die Waren? Freiwillig Reisende werden im Lauf der Kontrollprozedur zu Flüchtlingen der Umstände. Straff im System des Gepäcks strukturierte Güter verwandeln sich zu frei im Raum des Flughafens flottierenden Objekten, die sich Definition und Zugehörigkeit entziehen. Sind die Passagiere endlich der Durchleuchtung entkommen, wartet auf sie zur Nervenberuhigung schon der Duty-Free-Bereich, in dem Frustkäufe erledigt werden können und Konsum als Therapie angeboten wird.

Miks zweite Arbeit, welche die Galerie carlier gebauer präsentiert, dreht sich um die Zirkulation von Waren und Menschen. „Osmosis und Excess“ entstand 2005 im Grenzgebiet zwischen Kalifornien und Mexiko: Dieser transnationale Raum ist durch soziale und wirtschaftliche Kreisläufe gekennzeichnet. Aus dem US-amerikanischen San Diego werden Unmengen schrottreifer Autos ins mexikanische Hügelland geschleust, dort wild verklappt und ausgeschlachtet. Wie Schafherden überziehen sie die Landschaft. Das mexikanische Tijuana lockt dagegen mit billigen Arzneimitteln, die in strahlendweiß ausgeleuchteten Schau-Apotheken angepriesen werden. Im Panoramaformat lässt Mik seinen subtilen Blick über die Mosaike von Autowracks schweifen, neben denen Hirten ihre Kühe weiden lassen und sittsam uniformierte Schulkinder im Matsch der Müllkippe spielen, um dann wieder auf die glänzende Bühne der Kopfschmerztabletten und Hygieneartikel zu zoomen.

Mik trifft keine Aussage über die Bilder, die wir sehen. Aber er organisiert die Assoziationen über die Bilder sehr geschickt. Statt selbst hierarchisch zu werden und den Dingen unterschiedliches Gewicht zu verleihen, generalisiert er sozusagen die ganze Bandbreite dessen, was in seinen Videos zu sehen ist. Hierarchien entstehen erst durch die Interpretation des Gesehenen – jeder schaut für sich allein.

Aernout Mik, Galerie carlier gebauer, Markgrafenstraße 67, Kreuzberg. Noch bis zum 21. Februar, Di.–Sa. 11–18 Uhr