„Bossman“ verlässt die Show

Charles Taylor bietet viel Stoff für Legenden. Der Americo-Liberianer sorgte stets für Unruhe – als Guerilla- wie als Staatschef – und immer gut angezogen

Taylors Wahl 1997 war für viele Liberianer eine zwischen Pest und Cholera

aus Monrovia HAKEEM JIMO

Über eine halbe Stunde sitzt Moses Blah nun schon auf seinem Stuhl im liberianischen Präsidentenpalast, der „Executive Mansion“. Die Luft ist heiß, die Klimaanlage in dem von Präsident Taylor in letzter Zeit gemiedenen Gebäude funktioniert nicht mehr. Dann merkt Blah, alle warten nur auf Taylor, den er als liberianischen Präsidenten in ein paar Minuten ablösen soll. Er steigt wieder von dem kleineren der beiden Amtsthrone und geht.

Dann kommt er. In Rot und Weiß gekleidete SängerInnen begrüßen ihn. Charles Taylor ist wie immer aus dem Ei gepellt. Blütenweißer Anzug, grüne Schärpe. Stunden hat er die Welt noch einmal warten lassen. 300 Leute dürfen der Zeremonie beiwohnen. Regierungsoffizielle, geladene Gäste, Diplomaten, Presse und die Staatschefs aus Südafrika, Mosambik und Ghana. Wenigstens bei der Inszenierung seines Rücktritts will der liberianische Staatschef noch einmal die Regie führen. Auch wenn man seinem verschlossenen Gesicht ansieht: Der Abgang selbst geschieht nicht freiwillig. Er hat bis zuletzt hoch gepokert – wie sein ganzes Leben lang.

Diese Geschichte liest sich wie in Hollywood geschrieben. In Stichworten: Gefängnisausbruch in den USA, Ausbildung beim CIA, Guerillaführer im liberianischen Busch – und schließlich sechs Jahre auf dem Präsidententhron seines Landes. Charles Taylor spielte seine vielen Rollen immer professionell, und er weiß die dazugehörigen Kleider zu tragen: ob Präsidentenuniform oder Gefängniskluft. Taylor als eingebildeten Snob vom Schlage eines Mobutu zu beschreiben, der Zaire mit Leopardenmütze und Zepter regierte, wäre falsch.

An den großen Einfallsstraßen in der Hauptstadt Monrovia zeigen Plakate Taylor mit geflickter Kniebundhose und Spitzhacke auf einem Feld – Aufruf an die Bevölkerung, das Land zu bebauen. Für einen Gottesdienst der Baptistenkirche erschien er in weißer Robe und warf sich um Vergebung bittend auf den Boden. Als Rebell zeigte er sich auf einer Friedenskonferenz in voller Kampfmontur, wie seinerzeit Jassir Arafat vor der UN-Vollversammlung.

Seine Amtsübergabe an den Nachfolger Moses Blah nutzte er noch einmal für einen solch großen Auftritt. Vor seinen Amtskollegen Thabo Mbeki, John Kufuor und Joaquím Chissano schlüpfte er in die Rolle des afrikanischen Opferlamms. In seiner mit Bibelgleichnissen und Jesusgeschichten angefütterten viertelstündigen Abschiedsrede sagte er: „Die Entscheidung über die Zukunft dieses Landes wurde nicht in Liberia getroffen. Trotzdem ist Liberia weiter ein souveräner Staat.“ Taylor warnte die anderen afrikanischen Staatschefs vor dieser Entwicklung.

Aber nun scheint es mit den Verkleidungskünsten des 55-Jährigen vorbei zu sein. Seine nächste Station wird wohl ein Gästehaus der nigerianischen Regierung sein – wenn nicht doch noch der Gerichtssaal des UN-Kriegsverbrechertribunals für Sierra Leone in Freetown.

Taylor ist Sohn eines US-amerikanischen Vaters und einer liberianischen Mutter und gehört damit zu den so genannten Americo-Liberianern. Sie machen zwar nur 5 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, waren aber seit Gründung des ältesten afrikanischen Nationalstaates 1847 die dominierende Gruppe. Die freigelassenen Sklaven aus den USA führten sich gegenüber den Alteingesessenen bald so auf wie die weißen Herren in den US-Südstaaten ehemals gegen sie selbst. Eine Machtclique weniger Familien machte bis zum ersten Militärputsch 1980 alles unter sich aus, während die Einheimischen zuerst nicht einmal die liberianische Staatsbürgerschaft besaßen. Diese Ungleichheit war ein Grund für die späteren Bürgerkriege.

Taylor schien diese alte Kluft zunächst überwunden zu haben. Er gab sich einen zusätzlichen afrikanischen Vornamen: Ghankay. Während seiner Studienzeit in den USA betätigte er sich in der Opposition gegen den letzten Präsidenten der americo-liberianischen Dynastie, William Tolbert. Zur Unterstützung des Putsches von Samuel Doe 1980 ging er zurück in seine Heimat und bekam einen hochrangigen Regierungsposten. Aber schon bald wurde er beschuldigt, staatliche Mittel in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Er floh in die USA, kam dort aber wegen illegaler Waffengeschäfte in Haft.

Wie er aus dem Gefängnis in der Nähe von Boston fliehen konnte, ist Stoff für Legenden. Die einen sagen, er sägte sich durch die Gitter, die anderen, die CIA habe ihn herausgeholt, um ihn gegen Doe einzusetzen. Jedenfalls tauchte Taylor bald wieder in Afrika auf und führte ab 1989 von der Elfenbeinküste aus eine Rebellion gegen Doe an. Seine Guerillatruppe, die Nationale Patriotische Front Liberias (NPFL), eroberte in kürzester Zeit einen Großteil des Landes. Nach einem jahrelangen brutalen Bürgerkrieg, in dem zehntausende Menschen starben, gewann Taylor 1997 die ersten freien Wahlen.

Wer auch immer ihm half, mächtig zu werden, muss die Mitschuld auf sich nehmen, einem Egomanen den Weg bereitet zu haben, der von seinen Getreuen „Bossman“ genannt wird. Taylors Wahl 1997 war für viele Liberianer die zwischen Pest und Cholera. Sie hofften, mit Taylor würde wenigstens das Geld im Land bleiben, das er als Rebellenführer verdient hatte. Stabilität brachte er dem Land mit 3 Millionen Einwohnern jedenfalls nicht. Im Gegenteil: In Liberia, den Nachbarstaaten und international gilt er als der Unruhestifter in der Region. Weil er auch als Drahtzieher der verheerenden Rebellion im benachbarten Sierra Leone angesehen wird, hat das dort tagende UN-Tribunal Haftbefehl gegen ihn ausgestellt.

Sein Ziel ist nun, diesen Haftbefehl zu kippen und in ein sicheres Exil zu gehen. Doch die Geduld der intervenierenden Mächte scheint begrenzt zu sein. Nur eines ist sicher: Sollte er vor Gericht treten, dann wird Charles Taylor wieder passend angezogen sein.