„Frauenpolitik gilt heute als Luxus“

HELGA ADLER

„Wir Frauen sind gegen dieses emanzipatorische Defizit der DDR zu wenig auf die Barrikaden gegangen. Mit der Wendeentpuppte sich das dann auch als Falle“„Ökonomische Unabhängigkeit ist ein wesentlicher Faktor für selbstbestimmtes Leben. Dass ich meine eigenen Wege gehen, dass ich mich auch trennen kann“

Als Friedensforscherin in der DDR hat Helga Adler sich mit Friedenskonzepten von Nichtregierungsorganisationen befasst. Nach der Wende erlebte die promovierte Politologin neben Aufbruchseuphorie nach und nach ihre berufliche Herabsetzung. Bei ihren späteren Forschungsprojekten zur Situation der Frauen an den ostdeutschen Hochschulen untersuchte sie, was sie selbst betraf: dass Frausein und Alter unter kapitalistischen Wettbewerbsbedingungen geringer bewertet werden. Heute ist die 60-Jährige Geschäftsführerin des Ostberliner Frauenzentrums „Paula Panke“ und kämpft gegen die Kürzungen, durch die die emanzipatorische Arbeit der letzten 15 Jahre auf der Strecke bleibt.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Frau Adler, Sie arbeiten in einem Frauenprojekt – also auf einem sinkenden Schiff?

Helga Adler: Ich hoffe nicht. Schließlich werden wir noch gebraucht.

Wofür?

In Zeiten von Sozialabbau und Hartz IV gewinnen soziale Organisationen als Auffangprojekte an Bedeutung.

Das klingt nach Rettungsboot.

Sicher, dabei ist unser Ansatz natürlich ein emanzipatorischer. Die Frauenzentren, die nach der Wende entstanden sind, wollten verhindern, dass das, was an Emanzipation in der DDR stattgefunden hat, verloren geht. Frauen waren dort in hohem Maße ökonomisch selbstständig. Deshalb mussten Männer uns unseren selbst bestimmten Platz in der Gesellschaft zugestehen.

Wirklich?

Ich habe an einem Forschungsinstitut gearbeitet und war akzeptiert. Das heißt nicht, dass meine Bedingungen die gleichen waren wie die meines Mannes, der ebenfalls wissenschaftlich arbeitete. Der Teil der Emanzipation, der in der DDR nämlich nicht stattgefunden hat, zeigte sich in den Rollenzuweisungen.

Soll heißen?

Neben der Arbeit, die mir Anerkennung brachte, war ich für Haushalt und die zwei Kinder zuständig. Wir Frauen sind gegen dieses emanzipatorische Defizit der DDR zu wenig auf die Barrikaden gegangen. Mit der Wende entpuppte sich das dann auch als Falle, weil klar war, dass Frauen in der westdeutschen Gesellschaft stark auf die Mutter- und Hausfrauenrolle reduziert werden und man die Ostfrauen gern um die Bürde der Erwerbsarbeit erleichterte. Wir wussten, dass Frauen im Westen ihre ökonomische Unabhängigkeit meist nur unter Verzicht auf Kinder umsetzen können. Das zeigte sich schon an solchen Denkmustern, denen zufolge eine Frau, die ihr Baby in die Krippe gibt, als „Rabenmutter“ gilt.

Ostfrauen waren nach westdeutscher Lesart so?

Von der „anhaltenden Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen“ wurde ja bald nach 1990 auch gesprochen. Als wäre es unnatürlich, wenn Frauen berufstätig sind. Die, die Frauenzentren aufbauten, haben das sehr früh durchschaut.

Trotzdem wirken Frauenprojekte wie eine Geschichte der 80er- und 90er- Jahre. Was ist daran zeitgemäß?

Einerseits ist zunehmend anerkannt, dass Frauen die gleiche Leistungsfähigkeit, auch geistige Leistungsfähigkeit, haben wie Männer und ihnen deshalb der Anspruch auf eine berufliche Perspektive nicht verwehrt werden kann. Es gibt politische Instrumente, wie die EU-Richtlinien zu Gender Mainstreaming, die diesen Anspruch unterstützen. Es scheint daher so, als wären Frauen in wesentlichen Teilen gleichgestellt und dass es nur noch an ihnen selbst läge, diese Chance zu ergreifen. Auf der anderen Seite gilt, dass die realen Beschränkungen für Frauen in der Arbeitswelt und der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen werden unter dieser Prämisse, dass formal alles gerecht zugeht. Wer aber die Arbeitslosen- und Sozialhilfestatistiken analysiert, oder die Entwicklung in Leitungsebenen verfolgt, sieht, dass Frauen hinten runterfallen, wenn es wirtschaftlich eng wird.

Sie meinen, die Politik intellektualisiere die Frauenfrage, während die ökonomische Situation für Frauen schwieriger wird?

Ja, Und erstmalig wird nun der Frauenhaushalt von Berlin, der ohnehin nur 0,07 Prozent des Etats ausmacht, so stark gekürzt, dass zwei Projekte in Ostberlin schließen müssen.

Warum kürzt der Senat?

Weil Frauenpolitik out ist. Es ist kein Thema mehr, mit dem Stimmen gefangen werden. Höchstens wenn es um Antigewaltarbeit geht, sprich um Frauenhäuser oder um sexuellen Missbrauch, horchen die Politiker noch auf.

Dafür gibt es politische Akzeptanz?

Durch die öffentliche Debatte ist eine Akzeptanz in diesem Bereich erreicht worden. Aber eigentlich ist es Opferpolitik. Natürlich ist die wichtig. Für mich jedoch stellt sich die Frage, ob für Opferpolitik nicht ganz andere Bereiche finanziell herangezogen werden müssten. Etwa der Justiz- oder der Innenpolitikbereich. Die Frauen sind Opfer männlicher Gewalt. Der Antigewaltbereich hat einen hohen Stellenwert, weil die Politiker damit ihr schlechtes Gewissen beruhigen können. Emanzipatorische Ansätze, die über Opferpolitik hinausgehen und die wirkliche Frauenpolitik ausmachen, gelten jedoch als Luxus in Zeiten von schwacher Kasse.

Warum glauben Sie, dass alles mit den Zuwendungen steht und fällt?

Wir brauchen Geld für diese Arbeit, das ist doch klar. Dabei sind wir mit wenig schon sehr effektiv. Umgerechnet auf die Nutzerinnen bekommen wir an Zuwendungen 11 Euro im Jahr pro Frau. Ein einziger Platz in den Berliner Opern wurde 2003 dagegen durchschnittlich mit 29.944 Euro pro Jahr subventioniert. Die Gesellschaft ist verantwortlich dafür, dass Ausgrenzung von Frauen nach wie vor funktioniert, obwohl in der Verfassung festgelegt ist, dass es eine Gleichstellung geben muss. Die muss finanziert werden.

Das sehen die Politiker offenbar nicht so.

Es ist in der Tat eine Frage des politischen Willens. Was setze ich als Schwerpunkt? Wir sehen doch, wohin die Reise geht: Vom Sozialstaat wird Abschied genommen, neoliberale Vorstellungen gelten. Jeder Einzelne soll sehen, wie er sich durchsetzt. Im Sozialbereich wird gekürzt, die Voraussetzungen für wirtschaftliche Profite werden gestärkt. Auch der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf, der das Frauenressort innehat und mit dem ich nach der Wende in einer PDS-Gruppierung zusammenarbeitete, die den politischen Opportunismus in der DDR aufarbeiten wollte, lässt sich an dieser Stelle vom Mainstream treiben. Heute werden Ideen der Selbstbestimmtheit – nicht nur der der Frauen – von Politikern eben dem Profitinteresse untergeordnet.

Was spiegelt die schlechte Ausstattung des Frauenressorts? Politische Ignoranz oder die schlechte ökonomische Position der Frauen?

In dem Fall beides. Frauenetats in Berlin und anderen Städten wurden erstmalig Ende der 80er-Jahre durchgesetzt. Damals ging es den öffentlichen Kassen besser und es gab eine starke Frauenbewegung. Heute hat sich die Frauenbewegung institutionalisiert. Die, die es in die Institutionen, in die Wirtschaft oder an die Hochschulen geschafft haben, haben kaum noch Kontakt zur Basis oder Politik. Wenn wir wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen Frauen wieder aufeinander zugehen.

Sind Frauen denn wirklich schlechter gestellt als Männer?

Männer sind auch sozial ausdifferenziert. Aber wenn ich von den verschiedenen sozialen Stufen ausgehe, ist es so, dass Frauen es auf jeder entsprechenden Stufe schwieriger haben. Das Risiko für Frauen, abwärts zu rutschen, ist nach wie vor größer als für Männer. Das hat damit zu tun, dass Männer als Familienväter in der Gesellschaft insofern noch privilegiert sind, dass unter anderem nicht davon ausgegangen wird, dass sie die Familienarbeit leisten müssen.

Und Sie meinen, in diesem Zusammenhang werde Hartz IV ein zusätzlicher Angriff auf die Frauen?

Durch Hartz IV geraten Frauen gesetzlich verankert in größere und dauerhaftere Abhängigkeiten von ihren Partnern. Aus meiner Sicht aber ist die ökonomische Unabhängigkeit ein wesentlicher Faktor für selbst bestimmtes Leben und Selbstbewusstsein von Frauen und eine wichtige Voraussetzung, damit das Rollenverständnis durchbrochen werden kann. Dass ich, als Frau, meine eigenen Wege gehen kann, dass ich mich auch trennen kann.

Haben Sie sich getrennt?

Ach Gott, ich bin jetzt 34 Jahre verheiratet, aber ich habe immer meine eigene Entscheidung treffen können. Ich lebe in Berlin, mein Mann lebt in Brandenburg. Wir treffen uns am Wochenende.

Sie haben in der DDR Friedensforschung gemacht. Damals schon mit geschlechtsspezifischem Schwerpunkt?

Mit meinem Möglichkeiten ja, aber zu der DDR-Gruppe „Frauen für den Frieden“ habe ich erst kurz vor der Wende, vermittelt über Niederländerinnen, Kontakt bekommen. Das hatte natürlich damit zu tun, dass es oppositionelle Gruppen waren, ich aber im Staatsdienst war.

Sie waren in der DDR privilegiert?

Ich war staatstreu. Ich habe die DDR-Gesellschaft bewusst positiv als Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft verstanden. Ich hab auch im Ausland gearbeitet. Ich habe mit meiner Familie in den 70er-Jahren in Österreich gelebt, aber weder die bundesdeutsche noch die österreichische Gesellschaft schien mir eine Alternative. Ich war keine Oppositionelle, und dennoch eine kritische Begleiterin der DDR, mit der Hoffnung, dass wir aus uns selbst heraus eine Alternative gegen die starre Parteipolitik entwickeln können.

Trotzdem schwer vorstellbar, dass Ihr Wunscharbeitsplatz nach der Wende der in einem Frauenprojekt war.

Bevor ich über Forschungprojekte zu Paula Panke kam, habe ich mich politisch engagiert. Ich habe mich nach der Wende dafür eingesetzt, dass die SED-PDS, wie sie zunächst noch hieß, einen Erneuerungsprozess durchläuft. Zwei Jahre war ich im Präsidium der Partei und habe die Gruppierungen unterstützt, die einen kritisch sozialistischen Ansatz hatten. Ich dachte, dieses Potenzial verliert man, wenn man die SED auflöst. Ich dachte, es muss eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit geben. Wir müssen verstehen, dass unser Opportunismus in der DDR die sozialistische Alternative zum Scheitern gebracht hat.

Warum sind Sie dann doch aus der PDS ausgeschieden?

Meine Ideen waren Illusionen.

Wussten Sie damals, als 50-Jährige, dass Sie sich mit dieser Entscheidung ins berufliche Abseits manövrieren?

Vergessen Sie nicht: Die Wende war eine total interessante Zeit. Wir sind ja aus der vorgezeichneten DDR-Geschichte herausgestoßen worden und ich habe das immer als eine Befreiung empfunden. Auch eine Befreiung für mich als Frau. Damals habe ich mich tatsächlich mal von meinem Mann getrennt. Auch dass ich mich politisch engagieren konnte, dass ich mich auseinander setzen konnte, das war so bedeutsam. Ich wollte nie abhängig sein. Weder von meinem Mann noch von einer Partei.

Aber Sie waren es doch in der DDR.

Der Umbruch war deshalb umso mehr Aufbruch. Deshalb fürchtete ich, wenn ich mich von irgendeiner Partei abhängig mache, komme ich wieder in diesen Opportunismus hinein. Und das will ich nie mehr. Ich will wahrhaftig leben.