Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Haufen Federn

Irgendwo zwischen Handwerk und Kunst bewegen sich die Produkte der gestaltenden Handwerker, die an der Ausstellung Craftwerk Nordwest teilnehmen. Tischler Wilmes und Glaserin Witting stehen beispielhaft für ein Handwerker-Milieu, in dem Kreativität an oberster Stelle steht.

Bunte, unregelmäßige Formen, dazwischen geschmolzenes Glas, in das Renate Witting ihre Hände gedrückt hat

taz ■ Martin Wilmes kann von Holzsorten schwärmen wie andere von Fußballmannschaften. „Birnbaum kriegt man ja schon fast nicht mehr“, bedauert er. Dabei ist das eines der Lieblingshölzer des Tischlers. Der ist nicht nur Holzliebhaber, sondern schafft handwerklich perfekte Möbel mit eigenwilligem Design. Ein Tisch hat da schon mal Federn unter der Platte, so wie der, der unter dem Fenster in seiner Werkstatt steht. „Und wenn man hier drauf drückt“, sagt er stolz und betätigt einen kleinen Schalter, „dann sind die Federn sogar beleuchtet“.

Martin Wilmes ist einer von 36 Tischlern, Drechslern, Glasern, Malern, Metallbauern, Bildhauern, Lichtgestaltern und Steinmetzen, die vom 20. Juli bis zum 31. August rund 100 ihrer Produkte in der Ausstellung Craftwerk Nordwest im Jute-Center in Delmenhorst präsentieren. Alle stellen Produkte her, die irgendwo zwischen Kunst und Handwerk angesiedelt sind. „Solche Ausstellungen sind für Handwerker wie mich viel besser als Messen – besser nur 100 Leute, die echtes Interesse haben als 50.000 in einer unübersichtlichen Riesenschau“, sagt Wilmes. Ob er allerdings sein Federmöbelensemble wirklich los wird? Wilmes kratzt sich am Drei-Tage-Bart: „Das weiß ich noch nicht, aber diese Idee wollte ich unbedingt mal ausprobieren“.

Nicht alle seine Möbel sind so verrückt: Neben dem Federtisch steht ein Sideboard, ein flacher Schrank im minimalistischen Design, das Bauhaus lässt grüßen. Und der hohe Schrank daneben sieht wieder ganz anders aus. Es ist keine gemeinsame Gestaltungs-Ideologie, die Wilmes’ Arbeiten verbindet. Aber ein Markenzeichen hat er trotzdem: „Ich versuche, die Konstruktion sichtbar zu machen – zum Beispiel die Zapfenverbindung an Ecken von Tischen oder Schubladen“. Damit das gut aussieht, muss er allerdings perfekt arbeiten. Dass Wilmes das auch tut, nimmt man dem Holzliebhaber ab. Er will eben nicht, dass mehr Birnbäume sterben müssen als nötig.

Renate Witting braucht dagegen einen Rohstoff, von dem es nicht nur am Meer genügend gibt: Sand - den allerdings in seiner schönsten Form: als Glas. Die Kunsthandwerkerin wird zur Craftwerk-Ausstellung das mitbringen, was sie in ihrer kleinen Ladenwerkstatt in der Wachmannstraße produziert: Bleiverglasungen. „Ich weiß gar nicht, was ich Ihnen dazu erzählen soll“, sagt Renate Witting. Aber schauen reicht ja schon: Die Wände des gemütlichen kleinen Ladens sind bestückt mit ihren Werken in allen Größen und Formen: Rechts hängt schachbrettgroße, schachbrettähnliche Glaskunst. Streng durchkomponiert sind bunte und weiße Glasrechtecke mit Blei aneinander gefügt. Das wirkt ein wenig wie moderne Malerei, wäre da nicht die zugewandte, freundliche Seite des Materials. Doch so würde Renate Witting das nie sagen, sie mag keine großen Worte. Aber sie mag große Objekte. Manchmal gestaltet die Glaskünstlerin gleich das ganze Fenster. „Sehen Sie da gegenüber“, sagt sie und zeigt auf eine Jugendstilvilla auf der anderen Straßenseite. „Das war allerdings eine Auftragsarbeit – Jugendstil passt zu manchen Häusern, aber meins ist das eigentlich nicht“. Dann schon eher das Fenster, das auf dem Boden links auf einen Käufer wartet und das mit auf die Ausstellung Craftwerk soll: Bunte, unregelmäßige Formen, dazwischen geschmolzenes Glas, in das Renate Witting ihre Hände gedrückt hat. „Natürlich geschützt von Sand, sagt sie und lacht und bläst sich den grauen Bleistaub von den Händen. „Vorsicht, giftig, nicht mitessen“ – und geht zurück in ihre kleine Werkstatt, wo sie Blei für ihre nächste Arbeit überraschend leicht durchschneidet, fast wie Knetmasse.

Über die Craftwerk-Ausstellung ist Renate Witting richtig glücklich, denn auch sie lebt von Mund-zu-Mund-Propaganda und bei den fürs Kunsthandwerk angemessenen Preisen kann man die Objekte nicht mal eben im Vorbeigehen verkaufen. Gott sei Dank gibt es auch hier Stammkunden wie den Anwalt gegenüber: „Dem habe ich im Laufe der Jahre die halbe Jugendstilvilla neu verglast. Und jetzt tut er mir den Gefallen und zieht in ein neues Haus!“, sagt Renate Witting und lacht schon wieder. Markus Vollstedt